Welch besseren Zeitpunkt, um “Griechichstunden” von Han Kang zu lesen, als wenn ich nach Athen reise - dachte ich mir und habe dann beim Lesen festgestellt, dass die Handlung zwischen Seoul, Deutschland und der Schweiz pendelt.
Die Autorin erzählt abwechselnd in der dritten und ersten Person aus Sicht ihrer beiden Hauptfiguren, wobei mir länger nicht klar war, dass es nur zwei Figuren waren und um wen es sich dabei handelt (auch das Geschlecht blieb für mich lange der Interpretation überlassen). Das liegt an ihren unmittelbaren Einstiegen, ihren Wechseln zwischen Gegenwart und Vergangenheit und daran, dass die Figuren keine Namen haben.
Ihre Sätze sind oft verkürzt, die Sprache rhythmisch, sie arbeitet mit sich wiederholenden und variierenden Bildern, die zudem zwischen den Figuren hin- und herspringen, sodass die Grenzen zerfliessen. Dass Han Kang auch Gedichte schreibt, ist bei all dem spürbar.
Thematisch verarbeiten ihre Figuren Verluste, die durch Verstummung und Erblindung Ausdruck finden.
“Griechischstunden” ist ein Roman, der mir immer wieder die Orientierung raubte, dessen verstörte Figuren auch mir ein wenig Zuversicht nahmen, dessen Sprachgebrauch, von Ki-Hyang Lee souverän ins Deutsche übertragen, mein Herz jedoch höher schlagen liess.
Sicherlich kein Buch, das ich uneingeschränkt empfehlen würde, aber für alle, die schwere Stoffe nicht scheuen, eine sicherlich lohnenswerte Lektüre.