Zehn Jahre nach Ende ihres herausragenden Debüts nimmt Angeline Boulley den Faden wieder auf und spinnt in «Warrior Girl Unearthed» die Geschichte der Familie Firekeeper weiter.
Diesmal ist Perry Firekeeper-Birch, die nun 16-jährige Cousine von Dauntis, die Ich-Erzählerin des Romans. Eigentlich hatte sie einen entspannten Sommer vor sich: keine Verpflichtungen, täglich Angeln und in der Natur sein. Aber dann schrottet sie ihren Jeep – weil sie mal wieder zu schnell gefahren ist – und Daunis verdonnert Perry dazu, als Praktikantin am Kinomaage-Programm von Sault Sainte Marie in Michigan teilzunehmen, um ihre Schulden abzubezahlen. Widerwillig tritt Perry am nächsten Tag ihre Stelle im Tribal Museum an – und scheint schon bald ihre Bestimmung zu finden. Denn im Gegensatz zu ihrer Zwillingsschwester mit den super Noten, konnte Perry sich bislang weder für Lernen noch für einen Hochschulabschluss begeistern. Wozu die Mühe, wenn sie doch am liebsten in der Natur unterwegs ist und sich selbst versorgen kann? Aber dann erfährt sie, dass trotz eines in den 90ern geschlossenen Vertrags immer noch die überwältigende Mehrheit der sterblichen Überreste ihrer Vorfahren sowie deren Grabbeigaben in Museen lagern. Eine Wunde, an der die indigene Bevölkerung weltweit auch heute, neun Jahre nach Ende von Perrys Geschichte, noch leidet. Daran muss sich etwas ändern. Wenn es auf legalem Weg nicht geht, dann stiehlt sie ihre Vorfahren eben zurück.
Wie auch schon in «Firekeeper’s Daughter» tauchen wir ein in die Kultur, Traditionen und Sprache der Ojibwe von Sault Sainte Marie und Sugar Island. Allein dafür lohnt es sich, die Jugendromane von Angeline Boulley zu lesen!
Verantwortlich für die gelungene Übersetzung zeichnet sich diesmal Petra Bös.
Boulleys Romanen liegt immer mindestens ein politischer Aspekt zugrunde. Diesmal ist es die anhaltende Verschleppung der Rückführung indigener Körper und Kulturgüter durch Museen – sowie die Ausklammerung von Privatbesitz von diesem Vertrag – und was das für die inidgene Gemeinschaft bedeutet. Wie auch schon in «Firekeeper’s Daughter» thematisiert sie zusätzlich die prekäre Situation indigener Frauen, die vom US-Gesetz kaum geschützt werden vor Gewalt. Boulley «wollte unterschiedliche Beispiele aufzeigen, wie indigene Körper bis heute missachtet und abgewertet werden» (S. 428).
Um die Realitätsnähe der politischen Aspekte zu verdeutlichen, stellt sie den Kapiteln Zitate verschiedenster Art voran: aus Büchern, offiziellen Briefen und Erklärungen etc. In einer Anmerkung fasst sie diese erneut auf. Im Anhang befinden sich ausserdem eine ausführliche Literaturliste zum Thema Rückführung, ein Glossar und weitere Erklärungen.
Die Sprache ist erneut absolut einzigartig und gespickt mit unzähligen Ojibwe-Ausdrücken und Sätzen, die in der Regel im Anschluss übersetzt werden – so sie nicht schon öfter vorkamen. Boulley lässt sich Zeit mit dem Spannungsaufbau, stellt uns zunächst ihre Figuren, deren kulturellen und geographischen Hintergrund vor und gibt Perry Gelegenheit, ihren Weg zu finden. Auch die (erste) Liebe ist erneut Thema, aber eher am Rande. Ab der Hälfte beginnt Perry ernsthaft aktiv zu werden, zudem wird der Kreis vermisster indigener Frauen langsam enger, die Spannung nimmt also zu. Am Ende entlädt sich diese in einem abenteuerlichen, bedrohlichen Finale, das in einer scheinbar kompletten und für mich ziemlich überraschenden Auflösung mündet.
Mir blieben zwar noch ein paar Fragen offen (Was ist zum Beispiel mit der anderen vermissten Frau passiert?) und so richtig überzeugend fand ich die schlüssige Auflösung nicht, aber das sind kleine, vermutlich spitzfindige Schönheitsfehler. Insgesamt war es eine faszinierende, äusserst fesselnde Lektüre mit einer mutigen, gewitzten, vielfältig talentierten Protagonistin. Eindeutige Leseempfehlung von meiner Seite für «Warrior Girl Unearthed».