Vorneweg: Das Buch behandelt Themen, die für manche Menschen triggernd sein können. Deshalb unbedingt vor dem Lesen die Triggerwarnung beachten!
Der Schreibstil und vor allem die verschiedenen eingebauten Stilmittel waren sehr abwechslungsreich und erfrischend. Ich mochte nicht alles davon gleich stark, aber jedes Stilmittel hatte seine Daseinsberechtigung und auf seine Weise zur Geschichte und dem Verständnis für die Charaktere beigetragen. Das Buch liest sich generell sehr flüssig.
Die Geschichte hatte von Anfang an viel Potenzial. Ich mochte die Protagonistin Lily und den Charakter von Micah auf Anhieb. Die beiden sind sehr gegensätzlich und dennoch kommen sich die beiden bei ihrem Kunstprojekt vorsichtig näher. Ich mochte ausserdem auch Lilys beste Freundin Sam.
Ich empfand die Charaktere - vor allem die Hauptpersonen - als unglaublich authentisch geschrieben und den Verlauf der Geschichte als zwar nervenaufreibend, aber (leider) sehr realistisch. Ich wollte teilweise den Charakteren beim Lesen etwas zurufen, so sehr haben ihre Geschichten mich gepackt. In ein paar Szenen habe ich auch mein früheres Ich wiedererkannt. Die Geschichte ist bedrückend, weil sie die Herausforderungen von psychischen Erkrankungen aufzeigt, die eben nicht nur in der Erkrankung selbst liegen, sondern auch in der gesellschaftlichen Stigmatisierung und Tabuisierung. Ein Thema also, welches viel mehr Aufmerksamkeit verdient, und dieses Buch kann ein wichtiger Teil davon sein, besonders für Jugendliche, die teilweise noch keine oder kaum Berührungspunkte mit der Thematik hatten (und selbst nicht betroffen sind).
Während den letzten etwa 5 Kapiteln habe ich beinahe durchgehend geweint, weil die Geschichte mich so berührt hat. Die Autorin hat es geschafft, dass ich als nicht von den spezifisch thematisierten psychischen Erkrankungen betroffene Person mich dennoch in die Charaktere hineinversetzen und ihre Gefühlslagen und Emotionen - soweit es eben als nicht BetroffeneR möglich ist - nachvollziehen konnte.
Was mich am Buch etwas gestört hatte, war die Einstiegslänge. Das erste Drittel des Buches ist eher schleppend, sehr düster und lässt eigentlich kaum Hoffnung zu.
Da die Zielgruppe Jugendliche sind, hätte ich mir eine Einordnung davon in irgendeiner Form und zudem auch eine kritische Hinterfragung von manchen getätigten Aussagen gewünscht (pauschalisierte und despektierliche Aussagen über psychische Erkrankungen standen lange Zeit unkommentiert im Raum).
Zudem fehlte mir bei manchen Charakteren eine Entwicklung - was aber leider die Realität abbildet und deshalb nicht ein “Kritikpunkt” ist, der die Bewertung beeinflusst.
Das Nachwort der Autorin ist auch sehr schön geschrieben und zeigt nochmals sehr gut den Realitätsbezug des ganzen Buches und seine Wichtigkeit auf. Ich würde das Buch also weiterempfehlen, und zwar nicht nur Jugendlichen.