Ich war zuerst unschlüssig, ob ich das Buch angehen sollte. Normalerweise lese ich im Vorfeld keine Rezensionen, ich habe hier eine Ausnahme gemacht, was mich dann überzeugt hat. Doch ich bin nicht ganz sicher, ob ich etwas darüber enttäuscht war oder bin, dass ich durch die Rezensionen auch über das Schicksal des Protagonisten informiert wurde. Es ist keine Geschichte, bei der das Ende eine grosse Rolle spielt und vielleicht entschärfte die Vorwegnahme auch den Weg dahin; so konnte ich mich anders auf die Geschichte einstimmen, nicht so sehr auf das Ziel ausgerichtet, darauf hinarbeitend, als vielmehr im Moment lesend.
Was Sprache angeht, hört man dem armen Teufel Bender gerne zu oder wohl eher Setz’ Sprachspielen. Es ist eine ganz eigene Komik, die da entsteht, die sich nicht über die Figur lächerlich macht, sondern eine Art Mitgefühl erzeugt und die zunehmende Schwere des Romans etwas abmildert. Manch einem mag der Detailgrad stellenweise vielleicht zu viel sein, bei einer Kürzung wäre für mich aber etwas verloren gegangen. Eigenartig auch, dass ich sowohl gerne noch mehr erfahren hätte, aber nicht sagen kann, aus was dieses “Mehr” bestehen sollte, als auch am Ende in einem positiven Sinn genug hatte.
Irgendjemand hat in einer Rezension von einer “Biografie des Scheiterns” gesprochen. Das bringt den Inhalt der Erzählung auf den Punkt. Benders Theorien stossen im kleinen Kreis durchaus auf Erfolg, aber zum grossen Ruhm oder auch überhaupt zum Überleben reicht es nicht aus. Mal sympathisierte ich mit dem armen Teufel, mal raufte ich mir die Haare; gerade dann, wenn er wieder einmal und ausgerechnet gegen seine ihn durch alle Widrigkeiten unterstützende Frau wettert. Doch diese Inkonsistenz oder die vielleicht gerade die Konsistenz seines wechselhaften Charakters verleihen ihm Authentizität, machen ihn lebendig; dadurch wird aus einer durch sprachliche Zeichen umrissenen Romanfigur ein Mensch, der tatsächlich einst gelebt hat. Peter Bender ist bzw. war nicht einfach bloss ein Begründer der Hohlwelttheorie, Spinner oder Verschwörungstheoretiker; er war gleichzeitig Vater, Soldat, Bürger Deutschlands, Geliebter und Liebender, lachender, weinender, glücklich-verzweifelter, essender und trinkender – ein Mensch, so vielseitig wie du und ich.
Und dies ist vielleicht die schönste, mächtigste und wichtigste Botschaft dieses Buches: Die Weigerung gegenüber der Reduktion eines Menschen auf ein einziges Attribut.
Was mich ausserdem verblüfft und ziemlich mitgenommen hat, war die sich durch den Roman ziehende, schleichende und zunehmende Bedrohung durch den sich anbahnenden zweiten Weltkrieg. Anfangs noch kaum wahrnehmbar, bemerkt man dann, wie sich eine Schlinge um die Benders legt, die sich dann sehr langsam zuzieht. Wenn ich das mit Viktor Frankls Erfahrungsbericht oder Imre Kertész Tagebüchern und Romanen vergleiche, ist es eine andere Art von Grauen, das beim Lesen mitschwingt und aber gerade, weil es nicht Titelthema ist, auch immer wieder abflaut. Die Bedrohung legt sich dann unausgesprochen über den weiteren Verlauf der Geschichte, wird immer wieder aufgenommen, leicht zugespitzt, gerät dann wieder in den Hintergrund bis…
Ich mag diese Bücher, die mich während wie auch nach der Lektüre gedanklich und/oder emotional beschäftigen. Nicht einfach nur beeinflussen, das Erleben betreffend, sondern Reflexionen in Gang setzen. Den fünften Stern erhält es aber auch deshalb, weil es was hatte, was ich bisher nicht kannte. Ich kann dieses Etwas nur schwer beschreiben, ich weiss nur, dass ein Buch es hat oder nicht. Etwas sehr Individuelles, das da mit mir in Resonanz gerät…