Dieses Buch ist schwierig zu bewerten. Beim Lesen regt man sich auf, man verachtet die Figuren, kann sich nicht mit ihnen identifizieren, möchte sie durchschütteln und ihnen die Meinung sagen. Aber genau das sollte auch passieren. Das ist der gewünschte Effekt. Ist es also schlecht, weil ich mich darüber aufrege, oder eben genial, weil es so gut funktioniert? Obwohl ich während des Lesens ziemlich hin- und hergerissen war, habe ich mich am Ende doch für Letzteres entschieden.

Das Buch ist einwandfrei geschrieben, selbst bei inhaltlich zäheren Passagen hatte ich nie Mühe weiterzulesen. Ausserdem finden sich in diesem Text einige richtig gute Zitate. Sprachlich also top! Was mich aber wirklich beeindruckt hat, war die gelungene Umsetzung der Täterreflexion. Fast ein Ding der Unmöglichkeit und ein äusserst schmaler Grat: Mutiert der Täter plötzlich zum Helden, ist das moralisch nicht tragbar, ist der Täter durchweg böse, gibt es keinen Grund seine Geschichte zu erzählen. Als Lesende möchte ich zwar mit keinem dieser Protagonist:innen befreundet sein, ihre Entwicklung kann ich aber durchaus sehen und anerkennen.

Ich finde das Buch eine Spur zu lange. Ich hatte das Gefühl, dass sich gewisse Stellen wiederholen. Und obwohl einige der Passagen anregend waren, sind andere einfach nur geistiger Stuss eines Menschen, den man weder mag noch respektiert – und trotzdem muss man sie lesen, um in der Geschichte vorwärtszukommen.

Ein ambivalentes Buch, das man vermutlich nicht zum Vergnügen liest, aber viel zu diskutieren bietet.