Es gelingt dem Autor, Tomasz Jedrowski, in diesem Buch zwei gegensätzliche Themen miteinander zu verweben und das, ohne dass es gekünstelt wird.
Die Handlung spielt in Polen um 1980. Die Bevölkerung ist einem repressiven System unterworfen, Homosexualität kann nicht offen gelebt werden.
Der Hauptprotagonist Ludwik liebt gleichgeschlechtlich. Er merkt schon recht früh, dass er sich von Jungen angezogen fühlt.
In einem Sommerlager verliebt er sich in Janosch - er redet von ihm immer als “Du”. Sie begegnen sich an einem See, in dem Janosch oft schwimmt. Die Zuneigung wird erwidert.
Ludwik hat als Junge schon erlebt, wie schlecht die Regierung mit Menschen umgeht, die nicht ins System passen. Ein Junge aus der Nachbarschaft ist sehr plötzlich verschwunden - samt seiner Familie. Sie waren jüdisch und Juden wurden für die Unruhen verantwortlich gemacht. So mussten sie fliehen.
Bienniecks Abreise bedeutete das Ende meiner Kindheit und meines kindlichen Denkens. Es schien, als hätte sich alles, was ich vorher als richtig annahm, als falsch erwiesen.
Seine Mutter und die Oma haben ihm dann über die Geschichte des Landes erzählt.
Janosch hingegen ordnet sich dem System unter. Die Unannehmlichkeiten möchte er nicht hinnehmen, die mit Widerstand einhergingen - es ist leicht, wenn man mitmacht und “alles ist möglich”. Darin unterscheiden sich die beiden stark.
Ludwik hat eine beste Freundin Caroline. Janosch hat auch eine Freundin Hania. Ludwik entdeckt aber, dass diese über eine “beste Freunde” Beziehung hinausgeht und auch sexuelle Begegnungen stattfinden.
Es sind schwere Kämpfe, die Ludwik durchmachen muss - innere und auch in Diskussionen mit Ludwik.
Auch die Ausreise aus Polen, an die Ludwik denkt und für die er sich einen Pass besorgen will, ist zu verschiedenen Zeitpunkten ein Thema. Ob er diesen erhält? Sind möglicherweise rebellische Aktionen, in die er involviert war oder seine Homosexualität bekanntgeworden?
Zu meiner eigenen Überraschung konnte ich die Scham, die er in mir auslösen wollte, nicht annehmen.
Die Sprache ist fast immer sehr schön, poetisch ohne Kitsch und ausserdem treffend. Einige wenige eher grobe Ausdrücke kommen immer in der dazu passenden, gleichen Situation vor. Das war auffällig, hat aber nicht gestört.
Für Gefühle gibt es kein fotografisches Gedächtnis.
In meinem Kopf tobte ein Sturm und draussen setzte der Herbstregen ein.
Ich konnte an nichts denken, alles war zu viel. Alles, was über den Horizont hinaus ging, nein, nicht einmal das.
Ich glaube, das Buch ist sehr gut auch für jüngere Leser:innen geeignet, ab dem jungen Erwachsenenalter.
Ergänzung: Im Buch wird hin und wieder auf “Giovannis Zimmer” von James Baldwin verwiesen - ein Buch, das zu dieser Zeit in Polen anscheinend verboten war. Darauf bin ich nun neugierig geworden.