Erzählstil
Der Erzählstil ist ganz nach der Manier von Annie Ernaux - schnörkellos und schonungslos, klar und ausgesprochen berührend. Es gelingt der Autorin, die im Jahr 2022 den Nobelpreis für Literatur gewann, auf 80 Seiten sehr umfassend und tiefgehend darzulegen, sich das Verschweigen der Schwester, die über zwei Jahre vor ihrer Geburt gestorben ist, in der Kindheit und auch später im Erwachsenenalter auf sie ausgewirkt hat.
Buch
Dieser autobiografische Roman von Annie Ernaux hat mich sehr mitgerissen. Familiengeschichten - ihre Hintergründe, was Kinder nicht wissen dürfen. Wie oft wird so Schaden angerichtet.
Annies ältere Schwester stirbt über zwei Jahre vor ihrer Geburt. Die Eltern reden ihr gegenüber nie über die verstorbene Schwester. Nur zufällig erfährt sie von deren Existenz - und "sie war viel lieber als die da
Die da, das bin ich."
Der Roman ist ein Brief an die verstorbene Schwester. Annie erzählt ihr, wie sie überhaupt von ihr erfahren hat. Von ihren Eltern, den abwechselnden Besuchen von Vater oder Mutter auf dem Friedhof, ohne zu erwähnen, wem der Besuch gilt. Vom Aufwachsen, vom Kinderbett, in dem schon die Schwester gelegen hat. Von der Schulmappe, die schon längst parat war - eigentlich für die Schwester gedacht, von der Bulimie.
“Zwischen ihnen und mir stehst von nun an du, unsichtbar, angebetet. Ich muss dir weichen, werde an den Rand gedrängt. ”
“In den Fünfzigerjahren hielten die Erwachsenen Kinderohren für vernachlässigbar, sie glaubten, in der Gegenwart von Kindern könne man folgenlos über alles sprechen, ausser über Sexualität, worauf man nur anspielte.”
“Ich schreibe nicht, weil du gestorben bist. Du bist gestorben, damit ich schreibe, das ist ein grosser Unterschied.”
Fazit
Es ist keine heitere Geschichte - aber tiefgründig, zum Nachdenken anregend und bewegend. Es ist bemerkenswert, wie Annie Ernaux sich auszudrücken vermag und Aussagen in Worte zu fassen.
Grosse Leseempfehlung.