Sowohl der Klappentext als auch das Cover der Buches weckten mein Interesse. Auch der Beginn des ersten Kapitels klang vielversprechend und Hélène, eine der Hauptpersonen, wie eine Frau, mit der ich mich identifizieren könnte. Leider täuschte der Eindruck und ich konnte bis zum Ende des Romans keine klare Linie finden. Ursprünglich aus dem Französischen, liest der Text sich flüssig und sind die Beschreibungen treffend und in sich stimmig. Ein Hauptproblem für mich war die Fülle an Ereignissen durch ständigen Wechsel zwischen heutiger Zeit und Rückblicken der Protagonisten auf ihre Jugendzeit, dadurch fehlte mir die nötige Tiefe, um mich in die Hauptpersonen hineinzuversetzen und ihre Beweggründe und Absichten zu verstehen. Gegen Ende werden verstärkt politische Themen aufgegriffen, dies wirkte etwas gezwungen. Ebenfalls die immer wieder auftauchenden sexuellen Szenen, die mehr grafisch als erotisch wirken, haben mich etwas irritiert beziehungsweise erschliesst sich mir auch hier der Sinn nicht ganz.
Immer wieder gibt es aber sprachlich sehr gelungene, fast schon poetische Passagen, in denen für mich viel Bedauern über Vergangenes mitschwingt. Insgesamt ist die Grundstimmung eher pessimistisch, es wird ein Ist-Zustand beschrieben, ohne jedoch Lösungen oder Aussichten aufzuzeigen. Ein grosses Thema ist auch der Gegensatz der „kleinen Leute“ zu den Erfolgreichen und Mächtigen, ein tiefes Misstrauen gegenüber der Lebensart des jeweils anderen.
Scheint anfangs eine ernsthafte Beziehung zwischen Hélène und Christophe möglich, wird diese Annahme schnell widerlegt. Zu sehr repräsentiert Christophe all das, was Hélène seit jeher verachtet und vor dem sie, von aussen gesehen, erfolgreich geflüchtet ist. Während sie ihrem Heimatort und ihrem Milieu den Rücken gekehrt, sich neu erfunden hat, ist Christophe geblieben und führt ein unentschlossenes Leben zwischen alten Träumen vom Erfolg auf dem Eis und seiner Realität als alternder Reservespieler, der sich mit einem unbedeutenden Job durchschlägt und sich gleichzeitig um seinen Vater und zeitweise um seinen Sohn aus gescheiterter Beziehung kümmert. Halbherzige Versuche Hélènes, sich mit ihrem Heimatort zu versöhnen, schlagen fehl. Jeder für sich ist auf der Suche nach etwas, jedoch wird mir als Leser nicht klar, wonach. Zum Schluss überschlagen sich dann die Ereignisse, die weitere Entwicklung der Hauptpersonen wird wie in einem Nachsatz abgehandelt und das war’s.
Insgesamt liess mich das Buch etwas ratlos zurück, daher könnte ich spontan niemanden nennen, dem ich es weiterempfehlen würde. Es regt mich nicht direkt zum Nachdenken an, jedoch hat es mein Interesse am Autor geweckt. Daher habe ich seinen vorigen Roman „Wie später ihre Kinder“ begonnen, der mich etwas mehr anspricht, jedoch ebenfalls ohne dass sich mir ein roter Faden oder eine bestimmte Thematik erschliesst. Vielleicht in einer anderen Lebenssituation, zu einem späteren Zeitpunkt, werde ich diesem Buch erneut eine Chance geben, gerne auch im Original. Im Moment war es interessant, aber leider kein Buch, das bei mir lange nachhallen wird.