Es gibt eine Kurzgeschichte von Friedrich Dürrenmatt, Der Tunnel (1952), in der ein Zug in einen Tunnel fährt. Ganz normal. Aber dann dauert die Fahrt durch den Tunnel ungewöhnlich lange, der Tunnel will einfach nicht enden, schliesslich wird klar, dass der Zugführer abgesprungen ist, die Lokomotive nicht mehr bremsen kann, und am Schluss stürzt der ganze Zug in einen bodenlosen Abgrund.
So ähnlich ist Tanners Erde. Ernst Tanner lebt ganz normal auf seinem Bauernhof, sein Leben ist gleichförmig und vorhersehbar und wird von den Jahreszeiten bestimmt. Aber plötzlich sind da Löcher auf seinem Grundstück, grosse Löcher, bei denen man nicht bis auf den Boden sehen kann. Niemand weiss, warum die Löcher da sind, aber alle sind erstaunt, wie bemerkenswert gross und tief sie sind. Soweit die Sensation, aber Tanner leidet massiv unter den Löchern. Sein sonst so ausgeglichenes Leben stürzt ein. Darin zeigt sich eine Angst vor dem Untergrund und seiner dunklen Grösse, seiner Unbekanntheit.
Die Novelle ist typisch für ihre Gattung, sie beschreibt ein einziges, unerhörtes Ereignis und treibt es konsequent bis zu seinem Ende weiter. Aber was nehme ich jetzt mit aus Tanners Erde? Dass das Leben trotz aller Gewohnheit unberechnbar ist? Dass sich jederzeit ein Abgrund auftun kann, der meine Existenz unmöglich macht? Es ist jedenfalls in seiner Stimmung ein eher bedrückendes Buch.