Catherina Rust lebte noch nicht vor allzu langer Zeit in der Schweiz. Als ich das Buch zugesendet bekam, hatte ich auch Gelegenheit mich mit der Autorin zu unterhalten. Das hat mich gefreut, denn ich durfte so einen sehr angenehmen und weltoffenen Menschen kennenlernen. Und natürlich durfte ich dann ihr Buch lesen. Wenn Ihr wissen möchtet, was Catherina uns zu ihrer Kindheit, die sie beim Stamm der Aparai-Wajana Indianer im Amazonas verbracht hat, erzählt, so lest unbedingt weiter!
Catherina Rust, geboren 1971 in Bonn, wuchs bis zu ihrem sechsten Lebensjahr bei den Aparai-Wajana-Indianern im brasilianischen Urwald auf, wo ihre Eltern ein völkerkundliches Forschungsprojekt durchführten. Als erste Sprache lernte sie Aparai. Nach der Trennung der Eltern lebte sie bis zum 18. Lebensjahr in den USA. Zurück in Deutschland studierte sie Politikwissenschaften, Ethnologie und Psychologie und volontierte beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit engagiert sich Catherina Rust für die Sammlung ihres Vaters, die bislang umfangreichste Dokumentation der Kultur der Aparai-Wajana-Indianer. Catherina Rust lebt mit ihrer Familie in Berlin. (Quelle: Knaus Verlag)
Die Geschichte:
Als Catherina beim Heimkommen ihre kleine Tochter dabei entdeckt, wie diese freudig inmitten der sonst so gut verwahrten Schätzen ihrer Kindheit hockt, ist sie erst einmal schockiert. “Das sind meine Schätze”, denkt sie und Tränen schiessen in Catherina’s Augen. Der Boden ist übersät mit alten Erinnerungsstücken, die alle aus den tiefsten Tiefen des Kleiderschrankes ans Tageslicht gezerrt wurden. Catherina ist geschockt. Zuerst über das Chaos, danach über ihre Reaktion. Die Gedanken fliegen und mit den Gedanken wandert Catherina zurück nach Mashipurimo zu den Aparai-Wajana. Zu Grossmutter Antonia und Grossvater Araiba, ihrer indianischen Wahlfamilie. Catherina erlebt die Kindheit ein weiteres Mal, erinnert sich an die Ereignisse, an das, was sie selbst geprägt hat. Sie beginnt abends ihrer Tochter anstelle der üblichen Märchen von ihrer Kindheit am Amazonas zu erzählen. Aus den vielen Aufzeichnungen der Forschungsarbeit ihrer Eltern gemischt mit der eigenen erwachten Erinnerung enstehen erst nur Notizen. Aus den vielen einzelnen Schriftstücken wird später dieses Buch. Es ist ein Festhalten auf Papier, ein Zeitzeuge in Wort und Schrift. Dabei geht es nicht nur um Catherina’s Kindheit, sondern um uns alle. Denn Catherina’s Erinnerungen sind kostbar und bei genauerem Hinsehen sind sie sogar von unschätzbarem Wert.
Meine Meinung:
Catherina nimmt uns nicht nur mit nach Mashipurimo. Vielmehr schenkt sie uns eine Kindheit, die wir selber nicht erlebt haben. Das ist für mich das eigentliche Geschenk, das dieses Buch für den Leser bereit hält. Das Buch hat mir die Augen dafür geöffnet, was wir als westliche Gesellschaft entbehren und es hat mir ganz beiläufig auch die Frage zu meiner eigenen inneren Leere und Unruhe beantwortet. Wir gewinnen beim Lesen des Buches Einsicht in unser eigenes Leben und lernen von den Aparai-Wajana am Amazonas, dass Leben vor allem Verantwortung bedeutet. Eine Verantwortung, die wir im Westen vor langer Zeit von uns gewiesen und mit Konsumgier ersetzt haben.
Das Buch ist mit sehr schönen Erinnerungsfotos bebildert, die es dem Leser erleichtern, sich das Leben der Aparai-Wajana vorzustellen, Gesichter vor Augen zu haben und selber sogar Teil der Aparai-Wajana zu werden. Diese Fotos geben dem Leser das Gefühl, selber dort gewesen zu sein, weil man durch die Bilder wie durch das eigene Fotoalbum blättern kann und dabei entdeckt, wovon die Autorin schreibt.
Der Erzählstil hat mich tatsächlich an eine Mutter erinnert, die ihrem Kind eine Gutenacht-Geschichte erzählt. Die Kapitel des Buches sind in einzelne Geschichten aufgeteilt, die Stück für Stück ein Gesamtbild formen. Es ist ideal, sich vor dem Einschlafen noch ein Kapitel zu gönnen und ein wenig in Mashipurimo zu verweilen und sich danach noch ein paar Gedanken zur eigenen Kindheit zu machen. Ich bin selber nicht so der Lebensgeschichten-Leser. Es ist also äusserst selten, dass ich diese Art von Buch für mich in Betracht ziehen würde. Umso erstaunter war ich, dass mir dieses Buch so gut gefallen hat. Natürlich liegt Catherina Rust’s Bestreben auch darin aufzuklären, auf Misstände wie den Raubbau am Urwald hinzuweisen. Sie tut es jedoch nicht mit erhobenem Zeigefinger oder Vorwürfen, sondern mit ihren Erlebnissen. Das besonders intensive Leseerlebnis stellte sich in diesem Buch bei mir gegen Ende ein, als Catherina als erwachsene Frau noch einmal nach Mashipurimo zurück kehrt, um ihre indianischen Lieben zu besuchen. Decken sich die Erinnerungen, die sie noch so plastisch vor Augen hat mit der Wirklichkeit? Ist das Mashipurimo der Kindheit auch noch das Mashipurimo der Gegenwart?
Fazit:
Mittendrin statt nur dabei! Catherina Rust’s Kindheit zieht uns in ihren Bann und gibt uns das Gefühl, auch mit dabei gewesen zu sein. Mit viel Liebe zum Detail schreibt die Autorin über das Leben des Stammes der am Amazonas lebenden Aparai-Wajana und über ihre Kindheitserinnerungen. Gute und schlechte. Es bleibt aber nicht nur beim Erzählen. Es ist ein Buch, das uns ohne erhobenen Zeigefinger aufmerksam macht auf unseren Umgang mit der Natur und dem mit unseren Mitmenschen.