Yusuf Yesilöz Soraja ist ein Mikrokosmos für sich. Besonders für uns Aussenstehende, die nicht an türkische Gepflogenheiten gewöhnt sind. Etwas vertraut war ich schon damit, hatte ich doch Mitte Zwanzig regen Kontakt zu einer neun Jahre älteren Türkin gehalten. Wir sind sogar damals miteinander nach Frankreich in die Ferien verreist. Und ich hatte mich damals Hals über Kopf in ihren Cousin verguckt. Ich hatte auch die Gelegenheit, meine türkische Freundin zuhause bei ihren Eltern, Freunden und Verwandten zu besuchen. Das war dann doch ziemlich eindrücklich, und auch gleichzeitig befremdlich. Ich fühlte mich jeweils, als wäre ich gar nicht anwesend. Keiner beachtete mich. Von der berüchtigten türkischen Gastfreundschaft hatte ich damals nichts abbekommen. Vielleicht war ich ein Dorn im Auge der Verwandten? Ich weiss es bis heute nicht.
In Soraja fühlte ich mich wieder mit der Mentalität und den Gepflogenheiten unserer türkischen Mitmenschen konfrontiert, dieses Mal durch die Augen von Ferhad, einem unverheirateten (!!!) Türken von gestandenen 48 Jahren, der nach 24 Jahren beschliesst, die Schweiz zu verlassen und nach Ankara zu ziehen. Seine unerfüllte Liebe zu Soraja quält Ferhad schon lange. Soraja ist heute mit Murad, einem neureichen und frommen Mann, verheiratet. Dabei wollte Ferhad Soraja heiraten, doch seine kenianische Abstammung und seine demzufolge dunklere Hautfarbe, als auch der Umstand, dass er älter als Soraja und zudem auch noch nicht sehr gläubig ist, machten dem Heiratskandidaten einen Strich durch die Rechnung. Nie hätten Sorajas Eltern Ferhad als Ehemann für Soraja akzeptiert. Ferhad scheint nun alles hinter sich lassen zu wollen, um einen Neubeginn zu wagen. Andere nennen es Weltflucht. Ferhad ist ein Träumer, oder etwa doch nicht?
Diese Frage darf man sich am Schluss von Soraja selber beantworten. Als Leser erleben wir die letzten Wochen vor der Abreise als auch die Abreise und die Ankunft im neuen Leben von Ferhad in Ankara. Wir erleben, welcher Status einem unverheirateten, älteren Mann von den seinen zugeteilt wird. Wir erleben Bevormundung, Intrigen und Einmischungen ohne Ende, so dass es uns als westlich orientierten Leser immer mal wieder einen kalten Schauer über den Rücken jagt. Und nicht nur uns, auch Ferhad graut es regelmässig vor Festivitäten, auch wenn er das nur dezent zum Ausdruck bringt. Soraja ist kein Roman mit Handlung, es ist ein Schau mal, so fühlt sich das an Erlebnis, ein Eintauchen in eine andere Kultur. Einer Kultur, die sich auch oder vielleicht grade aufgrund von Integration, ihren Traditionen verpflichtet fühlt und diese auch in der Schweiz zelebriert.
Yusuf Yesilöz zeigt uns auf, wie Wertvorstellungen aufeinander prallen, ohne jemals zu explodieren oder auszuarten. Liebe wird sozialen Strukturen unterworfen, die einen Mann dazu bringen können, am Ende doch lieber keine Frau zu lieben, wenn er die eine, nicht haben kann. Ferhad ist Romantiker, Träumer und Pionier in einem. Vielleicht ist er einfach zu modern für sein Umfeld, aus welchem er den Ausbruch selber nicht zu wagen scheint. Denn, wer ist er denn eigentlich. Er gehört nirgends richtig dazu, weder in der Schweiz, noch in der Türkei. Er lebt quasi mit dem Dilemma, das viele Secondos kennen, dem inneren Zwiespalt, dem Tanz zwischen zwei Welten, deren Summe sich gegenseitig ausschliesst. Der Autor erzählt in einfacher Sprache, aber eindrücklich. Yesilöz lässt die Grenzen zwischen West und Ost verschmelzen und gibt uns die Möglichkeit, einen eigenen Blick darauf zu werfen und uns ein eigenes Bild zu machen, von der Liebe und dem Kampf zwischen zwei Welten.
Mir hat das Lesen des Romans Spass gemacht, aber wirklich berührt hat er mich nicht. Dafür fehlte mir der Tiefgang, das, was einem den Ärmel “inelitzt”. Protagonist Ferhad bleibt ziemlich oberflächlich und war für mich eher Geist als Mensch. Da hätte ich mir mehr Fleisch zum sich dran festhalten gewünscht. Ich hatte auch das Gefühl Yesilöz geht es gar nicht so um die Liebe zwischen Soraja und Ferhad. Ich habe beim Lesen auf jeden Fall nicht den Eindruck erhalten, dass es sich hier um eine Romeo und Julia Dramatik handelt. Yesilöz bleibt da eher nüchtern, beobachtend, Gefühle erscheinen eher nebensächlich, auch wenn diese geschildert werden. Soraja bleibt so für mich vor allem ein Einblick in ein anderes Leben, in eine andere Kultur mit einer Prise Liebesdrama.
Wer sich für andere Kulturen begeistern kann und möchte, für den ist “Soraja” eine passende Lektüre.