Im Roman begleitet man die Philosophin Hannah Arendt auf ihrer letzten Reise 1975 von New York in die Schweiz. Dabei wird ihr Alltag beschrieben und in Rückblicken erfährt man von ihren zurückliegenden Reisen, ihrem Werdegang und ihren Beziehungen.
Durch das Buch hat man das Gefühl, Hannah Arendt wirklich kennenzulernen: In Dialogen fallen Zitate, die man ihr zuordnet oder man entdeckt charakteristische Eigenschaften, die man auch schon aus Interviews kennt. Sehr gefallen haben mir die eingestreuten Gedichtfragmente! All das macht sie menschlicher. Der anfänglichen Bewunderung gesellt sich jetzt auch Verständnis gegenüber Arendt hinzu.
Gleichzeitig kommen Zweifel und Verwirrungen hinzu: Hätte diese Szene wirklich so stattfinden können? Ist das wirklich eine Anekdote aus ihrem Leben oder ist sie erfunden? Die Vermischung von Realität und Fiktion ermöglicht zwar diesen biografischen Roman, aber sie hat zumindest mich während des Lesens immer wieder kurz innehalten lassen, weil ich mich nicht wie sonst in Romanen einfach fallen lassen konnte.
Ich bringe ein wenig Grundwissen über Arendt mit. Einerseits aus dem Film von Margarethe von Trotta, aber auch im Bereich der politischen Philosophie. Was mich also am meisten an diesem Buch fasziniert hat, war die Herleitung ihres Denkens zu lesen, ihre Gedankengänge nachzuvollziehen. Der von ihr geprägte Begriff «Banalität des Bösen» im Zusammenhang mit dem Eichmannprozess sind spannend und nachvollziehbar beschrieben. Trotzdem sind viele Namen und Begriffe gefallen, die ich nicht zuordnen konnte. Dass viele ihrer Freunde lange auch mit Spitznamen genannt wurden, machte es nicht einfacher. Darauf folgte dann immer eine fünfminütige Recherche, die mich aus dem Lesefluss riss (und mich mit der Zeit nervte).
Zwischen diesen interessanten Schilderungen und Gedanken muss man sich durch viel zu lange Kapitel schlagen, unzählige Hotelangestellte und Kellner kennenlernen, die wirklich nicht wichtig sind und – zu meinem Entsetzen – belanglose, nicht enden wollende Dialoge lesen. Vor allem wirkten diese Dialoge so, als hätte Keller diesen unbedingt mit langen Ausführungen mehr Bedeutung verleihen wollen, was nicht geklappt hat.
Die Schilderungen des Eichmannprozesses gefielen mir wirklich gut. Zu Beginn war es auch das, was mich durch das Buch gezogen hat. Doch nach der Hälfte ist dieser vorbei und ich musste mich zum Weiterlesen zwingen. Die langen Kapitel halfen dabei nicht.
Dementsprechend kann ich auch nicht von Spannung sprechen. Denn dieses Buch ist in erster Linie immer noch ein Roman (steht zumindest auf dem Cover). Aber er scheint nicht Spannung aufbauen oder zumindest irgendwie mit den Leser:innen spielen zu wollen. Und im Leben von Arendt gibt es einiges, was einen als Leser:in hätte für einen Moment fesseln können. Stattdessen ist es eine simple Aneinanderreihung von Szenen, von denen der grösste Teil nicht mal relevant für das weitere Geschehen des Buches ist.
Somit lässt sich für mich auch nicht die Zielgruppe dieses Romans bestimmen. Für Philosophieinteressierte, die sich schon mit Hannah Arendt beschäftigt haben, wird wenig Neues dabei rausspringen. Leute, die Hannah Arendt nicht kennen, werden das Buch nur mit zeitgleicher Recherche beenden und verstehen können. An wen ist dieser Roman gerichtet?
Trotzdem hat mich das Buch dazu angeregt, mehr über die Ansichten und Theorien der bedeutenden Denkerin Hannah Arendt lernen zu wollen.
Fazit
Der Autorin ist es gelungen, Hannah Arendt nahbar und authentisch darzustellen. Trotzdem kommen während des Lesens Zweifel auf, ob diese Szene wirklich so hätte stattfinden können. Weiter muss man sich in langen Kapiteln mit (leider) belanglosen Dialogen herumschlagen. Und obwohl es ein Roman ist, kommt leider nie wirklich Spannung auf. Sehr gefallen hat mir die Schilderung des Eichmannprozesses und wie sich Arendts Denken daraus entwickelte.