Der zweite Abschnitt hat bei mir einen etwas zwiespältigen Eindruck hinterlassen: Einerseits beginne ich langsam, die Figuren besser auseinanderzuhalten und ihre persönlichen Geschichten zu greifen – andererseits bleibt die Erzählweise weiterhin sehr zurückhaltend, fast distanziert. Ich hatte das Gefühl, gerade erst ein wenig tiefer einzutauchen, da waren die 145 Seiten auch schon wieder zu Ende gelesen.
Besonders spannend finde ich die Einführung einer neuen Figur: Unha Jang, die offenbar als Kommissarin arbeitet und zu einem Fall gerufen wird, bei dem ein Neugeborenes verschwunden ist. Diese neue Erzähllinie bringt plötzlich eine ganz andere Dynamik ins Buch. Was mich sofort stutzig gemacht hat: Der Zeitpunkt dieses Falls fällt genau mit dem Moment zusammen, in dem Jeonghyo nach längerer Abwesenheit plötzlich mit einem Kind auftaucht. Ob es da einen Zusammenhang gibt? Das bringt auf jeden Fall Spannung in den bis dahin eher ruhig erzählten Roman und eröffnet neue Fragen.
Trotzdem bleibt mein Eindruck, dass vieles eher an der Oberfläche bleibt. Die medizinischen Eingriffe, die inneren Monologe, auch der Austausch im Gruppenchat – das alles berührt zentrale, existenzielle Themen, aber oft nur kurz und oberflächlich.
Formal finde ich es nach wie vor interessant, wie die Autorin persönliche und gesellschaftliche Ebenen miteinander verwebt. Die Reproduktionsmedizin wird nicht nur als medizinisches Thema dargestellt, sondern als Spiegel einer Gesellschaft, die Frauen stark über ihre Funktion als Mütter definiert. Besonders bei Jiun und Munjeong wird das deutlich – beide erleben auf unterschiedliche Weise, wie sehr sich ihr Selbstbild und ihr sozialer Status mit dem Kinderwunsch verbinden (oder davon abhängig machen).
Ich bin neugierig, wohin sich die Geschichte mit Unha Jang entwickelt. Vielleicht ist sie die Figur, die andere Perspektiven hineinbringt oder die alles ins Wanken bringt. Jedenfalls deutet sich für mich hier zum ersten Mal eine echte Spannung an, die über das rein Thematische hinausgeht.
Besonders eindrücklich fand ich die Passage auf Seite 121, in der Hyekyoung ihre Bedenken zum sogenannten Embryoskop äussert: „Wenn sie aber rund um die Uhr beobachtet werden, müssen sie sich doch überwacht fühlen, noch bevor sie überhaupt geboren sind. Das finde ich etwas problematisch. Ich möchte, dass meine Kinder frei aufwachsen.“
Dieser Gedanke berührt meines Erachtens nicht nur ethische Fragen zur Reproduktionsmedizin, sondern spiegelt auch etwas sehr Grundsätzliches über die südkoreanische Gesellschaft wider. Der Wunsch nach „perfekten“ Kindern, das Streben nach Kontrolle und Optimierung, das tiefe Eingreifen von Technologie in das Private: All das erinnert an eine Gesellschaft, in der Freiheit oft hinter Erwartungen und sozialem Druck zurücktritt. Dass Hyekyoung hier explizit von “Freiheit” spricht, macht ihre Aussage besonders kraftvoll. Es wirkt fast wie ein stiller Protest gegen eine Welt, in der das Individuum schon vor der Geburt in ein System der Beobachtung und Bewertung eingebunden ist.
Ich bin gespannt, zu lesen, wie ihr das empfunden habt.