Auch ich hatte den dritten Teil sehr schnell gelesen. Dort gibt es ja gleich weitere Konflikte und Atlanta lässt ihren Frust ungefiltert an Enza aus. Ja, ich finde es nachvollziehbar: In Atlanta hat sich einiges an Druck und Trauer aufgestaut. (Im ersten Teil des Buches erklärt Atlanta sich und der Welt: “Ich schaff das”. Fand ich übrigens schön gemacht von der Autorin: Monate vergehen, der Schock hält an, Atlanta fühlt wenig, wenig ist wichtig genug, um erwähnt zu werden – ausser die Telefonate Enzas, die Atlanta nicht interessieren. Dass sie in der Folge durch Europa taumelt, vor Maltes Cousine flüchtet, sich von einer Fremden Medikamente in den Mund stopfen lässt und ohne Kohle weiterreist – die Autorin beschreibt hier meisterlich eine Frau, die neben sich steht).
Aus meiner Sicht ist die erste Nacht auf Antonios Dach für beide Frauen eine heilende Erfahrung. Atlanta kommt zur Ruhe, fühlt plötzlich wieder und die gehaltene Energie muss irgendwie raus. Enza kommt ihr da gerade recht. Die beziehungsunerfahrene Enza kann jedoch nicht mit der Impulsivität umgehen. Erst recht nicht, weil sie zum ersten Mal etwas wie Anziehung fühlt (ausser zur Mutter), so ergreift sie die Flucht. Antonio, die gute Seele, ist hilfreich wie immer und dann die Auseinandersetzung am Bahnhof: Sprachlosigkeit, was Enza sagen WOLLTE und was sie nicht rausbrachte, stattdessen die Frage: Warum bist du dann hier? Wie das Atlanta wieder auf den Boden brachte … auch toll geschrieben. Macht für mich total Sinn. Die Frauen sind verschieden, aber irgendwie tun sie einander gut und Routine ist etwas, was beide gern mögen.
Die Reise auf der Fähre fand ich lustig. Atlanta, die eine Polizistin besticht und Enza, die ein Päckchen mitnimmt – wer fällt denn heutzutage noch darauf rein? Wäre es nicht Enza, wäre es unglaubwürdig. Dann sind sie beide doch dreist genug, das Ding über Bord zu werfen und einfach auf dem Motorrad abzuhauen.
Ich habe natürlich gewusst, dass sie zusammen nach Sizilien reisen und im Prolog gibt es ja die grosse Hand, die auf Atlantas Baby ruht. Enzas Hand. Das gibt ja von Anfang die Idee, dass sie sich zusammenraufen und aneinander wachsen. Die Persönlichkeiten entwickeln sich.
Malte entschied für sich das Leben auszukosten so lange er gesund ist (Antonio in Barcelona erwähnte den gierigen Lebenshunger) und er war vorbereitet es zu beenden, sobald erste Symptome auftreten - eine mathematische Gleichung um den Zeitpunkt zu bestimmen! Atlanta versteht diese Sprache, guter Einfall. Bei den Symptomen dieser Krankheit ist Maltes Verhalten durchaus nachvollziehbar, aber ohne Abschiedsbrief? Etwas unwahrscheinlicher. Aber – das gibt der überstürzten Reise ein Motiv. Ein Buch mit Gehalt, unaufdringlich und flüssig zu lesen, weil es sorgfältig konstruiert ist, tiefgründig, gut recherchierte und sprachlich liebevoll, gleichzeitig roh und direkt. Und ja, man würde gerne wissen, wie es mit der Mutter weitergeht, mit den beiden Frauen und dem Baby… Enza und Atlanta lasse ich nicht so gerne los. Hier meine Rezension.