Der Roman “Juli, August, September” von Olga Grjasnova beschreibt meiner Meinung nach auf interessante, aufschlussreiche und berührende Art und Weise den (beginnenden) Suchprozess einer säkularen, in Deutschland lebenden, jüdischen Frau mit Wurzeln in der Sowjetunion nach ihrer eigenen Identität.
Die in Berlin durch ihre Tochter und die Frage nach ihrer Erziehung ausgelöste Identitätssuche führt die Hauptprotagonistin Lou nach Gran Canaria und Israel, wo sie im Gespräch mit Familienmitgliedern den sehr unterschiedlichen und teilweise konträren Narrativen der Familiengeschichte nachgeht.
Meiner Einsicht nach wird dabei sukzessiv ersichtlich, wie nachhaltig sich das Trauma der Shoa in dieser jüdischen Familie über Generationen hinweg festgesetzt sowie Wunden und Risse bis in die Gegenwart hinterlassen hat.
Durch den Schreibstil, welcher meiner Wahrnehmung gemäss nur selten das (emotionale) Innenleben der Protagonist:innen benennt, sondern oftmals bei einer Deskription deren Verhalten und Handlungen bleibt, verbleibt nicht selten etwas ungesagt, unerklärt oder nur zwischen den Zeilen erahnbar. Damit blieb für mich die Hauptprotagonistin Lou bis zum Schluss bis zu einem gewissen Grad nicht fassbar, womöglich weil auch Lou sich selbst sowie ihre Familiengeschichte erst zu fassen beginnt…
Ich empfehle diesen Roman allen, die mehr über gegenwärtige Formen des Judentums lernen möchten und bereit sind, sich mit Lou zusammen auf die teilweise etwas verworrene, überraschende und nicht immer geradlinige Reise nach ihrer Identität, ihren Wurzeln und “der Wahrheit” zu machen.