Ich weiss gar nicht so recht, wo ich bei diesem Buch beginnen soll zu erzählen und ob ich’s lang oder kurz halten soll. Vorweg einmal: Sollte der Autor, Yan Lianke, mal wieder in Zürich zu Besuch sein und eine neue deutsche Übersetzung eines seiner Bücher vorstellen: man lasse es sich nicht entgehen. Ich denke gerne daran zurück, wie schön es klang, als er den Beginn von «Der Tag an dem die Sonne starb» auf Chinesisch vorlas, mit einem weichen Dialekt, sodass man gleich mit Li Niannian auf dem Berg sitzt und als einer der Geister und Götter zuhört, wie er erzählt, was in jener Nacht geschah. Li Niannian, der junge Erzähler des Buches, stellt sich gleich zu Beginn vor. Er wird auch «sha Niannian» (傻念念), der dumme Niannian genannt und erzählt die Dinge so, wie er sie in Erinnerung hat. Mini-Exkurs: das Nian 念 in Niannians Namen bedeutet so viel wie «denken an, erinnern, vermissen, lesen». Wie verlässlich Niannian als Erzähler ist, ist Nebensache. Die Geschichte ist so oder so absurd. Traumwandler, die wie wach ihren alltäglichen – oder weniger alltäglichen – Dingen nachgehen und wache Leute, die es ausnutzen. Schlafwandler, die eifrig ihre Felder ernten, Schlafwandler, die ihre Nachbarn totschlagen. Niannian erzählt eine unglaubliche und blutige Geschichte jener Nacht. Aber egal wie absurd die Geschichte auch ist, das echte Leben ist ja manchmal ebenso absurd. Yan Lianke scheint mir Geschichtliches mit Beobachtetem und Fiktivem zu vermischen, alles zu einer Geschichte in der Gegenwart, die ein Spiegelbild der chinesischen Gesellschaft – oder deren Psyche? – ergibt. Ich kann nicht behaupten, dass ich das Buch verstanden hätte. Aber gepackt hat es mich allemal. Die Sprache ist gewaltig, schön und rau zugleich. Der Einstieg ins Buch gefällt mir ungemein und auf jeden Fall habe ich noch nie gelesen, wie beispielsweise das Gesicht eines Charakters mit einem Lappen oder einer Backsteinmauer verglichen wird. Die Figuren sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, ganz unverblümt und geschimpft wird auch. Die Sprache und die Handlung laden dazu ein, das Buch mehr als einmal zu lesen, egal ob ganz oder nur auszugsweise. Es gibt eine ganze Menge darin zu entdecken.