Auf dem Cover sind elegante Damenhandschuhe zu sehen, mit schönen Blüten umrankt. Dieses Titelbild hat eine Bedeutung, die sich einem im Lauf der Geschichte auftut. Es ist sehr schön und passt auch gut zur einen fast magisch in das Buch hineinziehenden Sprache.
In diesem historischen Roman mit viel Fiktion lernt man an die Zwillinge Judith und Hamnet kennen und als Hauptprotagonistin deren Mutter Agnes. Sie leben in Stratford, zusammen auch mit der älteren Tochter Susanna. Der Vater - er wird nie namentlich genannt - ist nach den ersten selten anwesend Ehejahren selten anwesend, da er sich in London aufhält, um die Geschäfte aufzubessern und um Distanz zu seinem eigenen Vater aufzubauen. Erzählt wird auch die nicht einfache Kindheit und Jugend von Agnes. Agnes hat besondere Fähigkeiten - sie kann ins Innere der Menschen sehen und spürt mehr als andere. Sie ist auch kundig darin, aus Kräutern Heilmittel herzustellen.
Judith erkrankt an der Pestilenz. Agnes versucht mit allen Mitteln, sie zu retten. Das gelingt, aber der Junge, Hamnet ist ebenfalls erkrankt uns stirbt. Das stürzt die Mutter in eine grosse Verzweiflung - nicht nur die Mutter, auch ganz besonders die Zwillingsschwester und den Vater. Vier Jahre nach Hamnets Tod schreibt der Vater ein Theaterstück.
Den Erzählstil habe ich als umwerfend empfunden - ich habe an ein Gemälde von Chagall gedacht dabei. Wie sie schreibt, beschreibt - man riecht, sieht, hört und fühlt die Stuben, die Wälder, die Strassen, die Gärten und die Menschen. Die Charaktere sind ausgezeichnet dargestellt - sie kommen richtig zur Geltung - die guten und die schwierigen oder schlechten Wesenszüge, ohne in der Ausdrucksweise überschwänglich oder schäbig zu werden. Es ist faszinierend, dieser Geschichte zu folgen - da gibt es einen ganzen sehr spannenden Abschnitt, in dem erzählt wird, wie die Pest zu Judith kam.
Es ist ein grosser Genuss, das Buch zu lesen, vollkommen hineingezogen in diese wunderbar erzählte und traurige Geschichte.
“Sie hat … es”, sagt Hamnet in einem heiseren Flüsterton. “Oder?”. Agnes sieht ihn nicht an. Er ist so aufgeweckt, hat ein solches Gespür für die Menschen, dass sie weiss, er kann ihre Gedanken lesen, als ständen sie auf einem Blatt Papier.
Und doch sind sie hier, diese runden Beulen, die sich von innen gegen die Haut ihrer Tochter drücken. Agnes ist hin- und hergerissen. Beim Anblick der Bubonen ringt ein Teil von ihr nach Atem; der andere Teil hört und beobachtet das, nimmt Notiz davon: nach Atem gerungen, na schön. Der ersten Agnes treten Tränen in die Augen und das Herz will ihr in der Brust zerspringen wie ein Tier, das sich gegen seinen Knochenkäfig wirft. Die andere Agnes hakt alle Anzeichen ab: Bubonen, Fieber, tiefer Schlaf. Die erste Agnes küsst ihre Tochter auf die Stirn, die Wangen, die Haarlinie an ihrer Schläfe; die andere denkt: ein Breiumschlag aus Brosamen und gerösteten Zwiebeln und gekochter Milch und Hammelfett…"