Ich habe das Buch gestern Abend fertig gelesen und mir hat es sehr gut gefallen.
Ich finde es sehr eindrücklich, wie die Autorin durch ihre Sprache und ihren Schreibstil, die Geschichte formt. Zum Beispiel im Waldkapitel, da sind die Sätze und Abschnitte mit vielen Nomen und scheinbar einzelnen kurzen Beschreibungen zusammengesetzt. So entsteht für mich ein Gefühl der Weite, Tiefe, Undurchdringlichkeit. Beispiel S. 161: “Um die Gespräche der Männer war das Rauschen des Waldes gesetzt, Blätterbewegungen, Astbewegungen; alles rührte sich, auch wenn es stillstand.”
Allgemein finde ich ihre Sprache wunderschön, poetisch. Ich konnte in ihre Beschreibungen richtig abtauchen. In Kapitel drei beschreibt sie, wie Lev auf dem Krankenbett immer tiefer in seine Körperempfindungen absinkt, sich darin auflöst. Ich finde das eine treffende Beschreibung, wie sich eine Depression anfühlen kann und wie sie einen lähmt. Hier liegt für mich nun auch der Schlüssel in der Beziehung zwischen Lev und Kato. Sie werden durch äussere Zwänge unfreiwillig mit einander verbunden und Kato holt ihn mit ihrer Einfühlsamkeit, Beharrlichkeit und Geduld zurück ins Leben. Die beiden Aussenseiter gehören zusammen, sind abgeschnitten vom Treiben der Welt, gehören nur sich allein. Ich denke für Lev ist diese Verbundenheit sehr bewusst und Kato musste sie durch das Weggehen erst ins Bewusstsein holen.
Ich habe das ganze Buch über gedacht, dass Lev einen Unfall hatte, also z.B. im Wald oder Auto. Aber ich glaube, dass die Lähmung Ausdruck des Traumas ist, als er sieht, dass Lonja sich umgebracht hat. Was meint ihr?
Etwas seltsam fand ich den Teil, wo Lev mit seinem Grossvater kuren geht. Warum nimmt ihn der Grossvater mit? Ist das nicht etwas seltsam? Lev nennt sich selbst auf S. 221 ein Kind. Ein gesundes Kind geht kuren?
Sehr schön finde ich auf Seite 243 die letzten zwei Sätze des zweiten Abschnittes. Der Grossvater sagt Lev da, dass es irgendwann eine Frau geben wird, die er nicht gehen lassen dürfe. Das ist wie eine Prophezeiung, die erst bedeutungsvoll wird, wenn das Buch rückwärts gelesen/geschrieben wird.
Ich würde das Buch als modernen Entwicklungsroman bezeichnen. Die beiden offenen Enden haben mich zu Beginn irritiert im Sinne, dass es ungewohnt ist und ich es mag, wenn etwas abgeschlossen ist. Das revidiere ich für dieses Buch. Als Entwicklungsroman ist für mich die Erzählweise rückwärts logisch und alltagsnah. Denn jeder steht ja in der Gegenwart, blickt schrittweise zurück in die Vergangenheit und hat eine Zukunft vor sich. ich habe mich zum Beispiel gerade beruflich recht stark verändert, aufgrund meiner vorherigen beruflichen Situation. Wenn mich also jemand fragt, warum ich mich jetzt beruflich verändere, dann erzähle ich nicht, wie ich mal meine Schulbildung abgeschlossen habe und dann dieses und jenes gemacht habe, sondern ich erzähle, dass für mich meine letzte Stelle nicht mehr stimmig war und daraus eine neue Idee und neue Bedürfnisse entstanden sind. Wisst ihr, was ich meine? Ich bin heute diejenige aufgrund meiner Lebenswelten chronologisch absteigend. Ich finde das eine sehr spannende Sichtweise, die ich mir noch nie so überlegt habe.
@JuliaK Ich habe sehr schnell in das rückwärts lesen eingefunden und fand es sehr spannend, da ungewohnt und deshalb muss man sich mehr mit dem Inhalt auseinandersetzten. Das gefällt mir. Ich fand das Waldkapitel sehr schön. Ich mag Wälder und finde die Beschreibungen so poetisch. Ich werde auf jeden Fall ein weiteres Buch von Iris Wolff lesen und es auch weiterempfehlen. Ich würde die Autorin fragen, warum sie Lev mit dem Grossvater kuren schickte.