Lukas Hartmann beschreibt in seinem Buch die letzten Monate aus dem Leben des berühmten Tenors Joseph Schmitt, der 1904 in Rumänien als Sohn jüdischer Eltern geboren wurde.
Nachdem dem begabten Sänger sozusagen die Welt zu Füssen lag, er weltbekannt war, kam mit dem Nationalsozialismus der rasche, grosse Abstieg. Mit der Besatzung Frankreichs durch die Nazis begibt er sich auf die Flucht. Erst begleitet von seiner guten Freundin und ehemaligen Geliebten Selma, schliesslich allein. Er ist nicht gewohnt, sich durchzukämpfen. Auch beginnt seine Halskrankheit, die ihn sogar daran hindert, zu singen. Auf der Flucht erinnert er sich zurück, Rückblenden in seine Kindheit, Gedanken an seine in Rumänien zurückgebliebene Mutter, Gedanken an Lotte, eine frühere Lebenspartnerin und Mutter eines gemeinsamen Sohnes, Otto, dem er nie Vater zu sein vermochte. Auf der Flucht kränkelt er immer mehr. In Zürich angekommen findet er zuerst Unterkunft in einer Pension dank der Unterstützung durch den Bruder von Selma. Die Wirtin pflegt ihn gut. Er muss aber in ein Auffanglager, ins Girenbad oberhalb Hinwil. Die Umstände sind dort alles andere als günstig. Nicht alle sind den Flüchtlingen wohlgesonnen und einige neigen dazu, jemand sofort als Drückeberger abzustempeln. Ausserdem fürchtet man sich auch vielerorts von einer zu starken Zunahme von Fremden, Flüchtlingen und natürlich auch immer die Angst vor dem grossen Nazideutschland.
Joseph Schmidt verliert seine Stimme - es gehen aber auch sonst Stimmen unter. Das kommt in diesem Buch, welches weder die Biografie von Joseph Schmidt gross ausbreitet, noch sonst Themen episch auskostet, deutlich zum Ausdruck. In einer gut gewählten, eindringlichen Sprache, die fesselt und die ich gerne gelesen habe. Ich bleibe nachdenklich berührt davon.
Man musste kämpfen, das hatten Selma und Lotte ihm gesagt; der kleine Otto wusste es noch nicht, der kleine Jossele (Joseph) in ihm drin, im Sänger, dessen Ruh verblasst war, wusste es auch nicht.
“Wir sind”, entgegnete Sperber, “ nicht bloss Opfer, wir sind alle auch Täter. Und zwar durch das, was wir unterlassen oder zu spät einsehen.”
“Möglich.”. Schmidts Stimme war zu einem Flüstern geworden, …“Ich gehöre nicht zu denen, die fähig sind, energisch Partei zu nehmen und sich in Gefahr zu bringen. Ich reagiere auf die Ereignisse erst, wenn es nicht mehr anders geht. Das ist wohl ein Fehler.”
Auch die Liebe zur launenhaften Lotte hatte den Jahren nicht standgehalten, ihr Hin und Her, ihre Vorwürfe, ihre Liebesschwüre, ihre Hasstiraden stiessen ihn ab und zogen ihn an, je nachdem, und der gemeinsame Sohn war ein Pfand gewesen, das sie in Geldnot oft genug gegen ihn ausgespielt hatte. Nun lag er da mit all diesen Erinnerungen, seine Stimme, das Zaubermittel, mit dem er die Frauenherzen gewonnen hatte, hatte ihn im Stich gelassen…
Der Pfarrer entnahm seiner Busentasche einen Zettel, den er auseinanderfaltete und mir (einer jungen Frau, die in Girenbad wohnt) überreichte. “Das ist ein Zitat von Professor Barth. Lesen Sie es bitte.” Ich las. “Die Flüchtlinge tun uns die Ehre an, in unserem Land einen letzten Ort des Rechts und des Erbarmens zu sehen … Wir sehen an den Flüchtlingen, was und bis jetzt wie durch ein Wunder erspart geblieben ist.”