Viel und davon reichlich Lobendes ist bereits gesagt worden über Herbert Clyde Lewis’ 1937 erschienenen Roman «Gentleman über Bord», der nun, in einer bewundernswerten Übersetzung durch Klaus Bonn, erstmals auf Deutsch erschienen ist.
«Als Henry Preston Standish kopfüber in den Pazifischen Ozean fiel, ging am östlichen Horizont gerade die Sonne auf.»
Mit dem ersten, prägnanten Satz lässt Lewis seinen auktorialen Erzähler eigentlich alles Wichtige bereits für uns zusammenfassen. Natürlich erfahren wir in den insgesamt zehn Kapiteln noch reichlich mehr über unseren Protagonisten und seine Umwelt. Wer er ist, wie er an Bord der Arabella gelangte und warum, wie es dazu kam, dass er ins Wasser fiel, welche Gedanken ihn im Folgenden beschäftigen und was in der Zwischenzeit an Bord der Arabella geschieht.
Lewis erzählt mit feinem Humor, aber ohne Spott, von seinen Figuren und stellt uns durch Standish vor die Herausforderung, unser Leben näher unter die Lupe zu nehmen und scheinbare Selbstverständlichkeiten mit Dankbarkeit wertzuschätzen. Wie immer im Angesicht der eigenen Endlichkeit stellt sich die Frage, wofür es sich zu leben lohnt bzw. ob die Richtung unseres Lebens derzeit stimmt oder korrekturbedürftig ist?
«Die Leute denken so lange nicht an den Tod, bis er sie fest anpackt.»
Gleichzeitig entwirft er mit seinem begrenzten Personal ein akkurates Bild der damaligen US-amerikanischen Gesellschaft. Am besten gefiel mir seine Darstellung des Missionars-Ehepaars Brown, die in ihrer moralisch überlegenden Rechtschaffenheit zu einer Einheit verschmolzen sind: «Er war mit der Wendung des Gesprächs nicht einverstanden. Die anderen konnten das an der überraschenden Strenge des Gesichts seiner Frau erkennen.»
Es sind die einzigen Figuren, die unsympathisch daherkommen. Meine Lieblingsfigur ist der ältliche Farmer, der spontan zu einer Reise aufgebrochen und ein so ganz anderes Leben gelebt hat als Standish: «Nach einem ganzen Leben mühevoller Arbeit waren zwei folgenschwere Dinge auf einmal geschehen: eine gute Kartoffelernte und ein heftiger Anfall von Fernweh.»
Herrlich auch die knappe Beschreibung des Kellners: «Der Kellner, der dank einer Kombination aus jugendlichem Umfeld und altem Erbe wahrlich keine große Leuchte war, […]"
«Gentleman über Bord» ist auf gerade einmal 153 Seiten ein kleines Meisterwerk, das uns zum Lachen, zum Nachdenken und zum Staunen bringt, uns die Schönheit unserer Existenz vor Augen führt und aufgrund der ungewöhnlichen Handlung, der zugleich leichten und eindringlichen Erzählweise und der pointierten Sprache unvergesslich ist. Klaus Bonn hat einen zum Erscheinungszeitraum passenden Ton gefunden, ich fühlte mich selbst gleich in der Zeit zurückversetzt, und übersetzt gleichzeitig so dezent, dass nicht auffällt, dass wir es mit einer Übersetzung zu tun haben.
«Es war eine Frage der Eier.»