«Ich liebe ihn sehr.»
Das Kennenlernen dauerte lange, die Annäherung war nicht leicht, waren sie doch beide vergeben. Für ihn hätte es zweigleisig weitergehen können, doch sie wollte irgendwann klare Fronten – und kriegte sie. Er zog bei ihr ein. Seit damals sind über fünfzig Jahre vergangen. Als er krank wurde, entwickelte sich das mehr und mehr zu einer Vollzeitaufgabe, die sie mit Hingabe und Liebe übernahm.
Helga Schubert schreibt die Geschichte einer Frau, die ihren kranken Mann pflegt. Sie schreibt von den körperlichen und psychischen Herausforderungen, von den guten und schlechten Zeiten. Sie schreibt von viel Liebe und Zugewandtheit, aber auch von Verzweiflung. Sie schreibt eine Geschichte, die sie gut kennt, denn es ist ihre Geschichte.
Gedanken zum Buch
«Bald wird er sie nicht mehr erkennen.
Das ist das Schlimmste, dachte ich damals.
Dann werde ich nur eine austauschbare Hilfe für ihn sein.
Nicht mehr die Einzige, die unverwechselbare Geliebte.»
Die Betreuung von Angehörigen bringt je nach Krankheit verschiedene Anforderungen mit sich. Während es bei körperlichen Beschwerden vor allem physische Kraft braucht, damit umzugehen, nehmen bei den geistigen Beeinträchtigungen die psychischen Belastungsmomente zu. Helga Schuberts Mann ist zunehmend dement, was es mit sich bringt, dass er immer mehr vergisst – irgendwann wohl auch sie. Der Gedanke, dass ein Mensch, mit dem man so lange das Leben teilte, dem man so verbunden ist und für den man als der Mensch, der man ist, wichtig war, einen plötzlich nicht mehr erkennen könnte, ist nicht leicht zu bewältigen. Es ist quasi ein Weg in die Beliebigkeit, das Kappen eines Bandes, an dem man sich bislang halten konnte.
«Ich muss ein Mittel gegen die Verzweiflung finden, in die ich manchmal falle.»
Helga Schubert redet nichts schön in diesem Buch, sie verklärt nicht, sie klagt auch nicht, sie beschreibt das Leben, wie es ist, mit allem, was es an Schönem und Beschwerlichem mit sich bringt. Entstanden ist so ein sehr liebevolles, warmes, berührendes Buch.
«Eigentlich ist es egal, wo ich lebe, dachte ich, Hauptsache, er ist da, und wenn er nicht mehr in diesem Pflegebett liegen würde, zufrieden und gesättigt und ohne Schmerzen, sondern sein Körper tot wäre und ich in einer Einzimmerwohnung…wäre er ja auch immer da, denn er ist ja in mir.»
Wir lesen von einer Liebe, die tief geht, die dauert, andauern wird, egal, was passiert. Diese Liebe tropft aus den Worten, steht zwischen den Zeilen, fliesst aus dem Buch. Sie macht Hoffnung, hilft, dass aus Mitgefühl kein Mitleid wird, dass die Schwere des Themas nicht erdrückt.
«Auch jetzt als alte Frau, dachte ich plötzlich, habe ich ja noch richtige Lebensaufgaben zu lösen: Es geht nämlich um das Loslassen, um das Annehmen…»
«Der heutige Tag» ist ein Buch, das auch Mut macht. Es lässt an die Liebe glauben, es zeigt, wie viel man als Mensch schaffen kann. Es zeigt auch, dass es wichtig ist, für sich selbst immer wieder Nischen zu suchen, Dinge, die einen freuen. Bei Helga Schubert ist es ihr Schreiben, wenn alles getan ist. Es ist ein Buch, das zeigt, dass das Leben immer wieder neue Herausforderungen an uns heranträgt, und dass wir lernen können, damit umzugehen. Weil der Mensch nie aufhört zu lernen.
Fazit
Ein warmherziges, persönliches, offenes, unsentimentales, aber sehr berührendes Buch über eine grosse Liebe.