Nun dürfen wir ja unsere Leserunde offiziell beginnen🙂
Der ausdrückliche Hinweise der Autorin, dass dies ein weiblicher Text sei, geschrieben im 21. Jahrhundert, liess mich aufmerken. Nach den ersten 110 Seiten kann ich nur sagen, dass Doireann Nì Ghrìofa dies wirklich mit grosser, ja mit absoluter Konsequenz durchzieht. Jede Zeile ist weiblich - das Ich der Geschichte lässt uns hautnah, man kann sagen seelentief, an sich heran. Anders als in der Ich-Form wäre diese Geschichte gar nicht möglich gewesen! Alles wird aus einem rein weiblichen Blickwinkel betrachtet - auch ihr Mann, der eine Person im Hintergrund bleibt. Seinen Bedürfnissen wird nur aus dem Ich heraus gezollt wie beispielweise, dass die Frau ihn zu Sex einlädt, obwohl ihr dies für sie so schmerzhaft ist, dass sie sich in ihre Hand beisst. Sie schläft mit ihm allein aus ihrer Überlegung, dass er nicht unter ihrer derzeitigen Lustlosigkeit nach der Geburt des dritten Sohns leiden muss. Was für eine Vorstellung! Feministinnen dürften hier spätestens auf heulen vor Wut. Wie kann eine Frau heutzutage so ihren Kindern und ihrer Familie so pflichtbewusst und hingebungsvoll allen Rum schenken, dass sie sich hintenanstellt?
Ich glaube, dasss der Autorin, oder sollte ich besser sagen - der Dichterin? - solche feministischen Überlegungen nicht nur völlig gleichgültig sind, sondern dass sie sich die Freiheit nimmt, in ihrem Thema auch völlig politisch unkorrekt zu sein. Sie ist so ganz Frau, dass es fast weh tut. Und sie hält nicht hinter dem Berg - denn sie verleiht dem Begehren und dem Hunger nach Lust des Ichs, als sich dies bei ihm wieder einstellt, schamlos direkt Ausdruck.
Ob dies ein autobiografischer Text ist, wage ich fast zu bezweifeln. Sicher fliesst viel an eigener Erfahrung ein. Aber, nachdem ich über die Autorin recherchiert habe und sehe, dass Mutterschaft, Geburt, Tod, Verlangen und Häuslichkeit die Thematik von Doireann sind, aus der ihre Gedichte und Prosa leben, sehe ich das “Ich” als Stilmittel, um absolute Nähe zwischen Leserinnen und der Protagonistin aufbauen zu können..
Das Cover lese ich jetzt aus einem anderen Blickwinkel: nicht die bleichen, verwelkten Blüten deuten auf die Vergangenheit hin, sondern die blutig roten! Das Leben im Jetzt des Ichs ist so durchgetaketet, die Tage immer gleichförmig, dass sie fast farblos wirken. Im Gegensatz dazu sprüht das Caoineadh Art Uì Laoghaire vor Farbe.
Als Leserin fühle ich mich sehr an meine Zeit erinnert, als ich zum ersten Mal das Nibelungenlied in Mittelhochdeutsch las: Die alte Sprache, die alten Bilder und das alte Denken zogen mich so magisch in seinen Bann, dass mir das Leben im Jetzt fast nichtssagend wirkte. Ich muss sagen, dass ich wie Doireann mich viel mit alten Denken in alten Liedern und Epen auseinandergestzt und Brücken dazu gesucht habe. Insofern berührt mich diese Geschichte sehr tief. Was für ein dichtes Erzählen!