John Boyne hat ein Sequel geschrieben zu seinem grossen (Jugend-)Klassiker „Der Junge im gestreiften Pyjama“. Und wie ich vermutet habe: Wenn einer das kann mit so einem Nachfolgeroman, dann Boyne!
Die Perspektive ist eine gänzlich andere. Und zwar jene der heute über 90-jährigen Gretel, der Schwester des aus dem 1. Teil im Zentrum stehenden 9-jährigen Jungen Bruno.
Der Leser erfährt raffiniert konstruiert die Geschichte von Gretel, seit Jahrzehnten in London lebend. Alternierend in kurzen Kapiteln zwischen heute (2022) und der Nachkriegszeit erfahren wir alles über Flucht, Vergangenheit, Leid, Schuld und Lügen der Tochter eines Konzentrationslager-Kommandanten. Und jetzt im hohen Alter erhält Gretel noch die Chance, auf eine Art von Sühne (mehr sei nicht verraten)…
Wer „Der Junge im gestreiften Pyjama“ gelesen hat, wird auch hier sofort reingezogen. Ausgezeichnet gelungene Weitererzählung der Geschichte, mit neuen Perspektiven. Emotional mindestens so eindringlich. In diesem Fall aber eindeutig nicht mehr als Jugendroman angelegt (wobei ich Teil 1 ALLEN Altersstufen empfehle, auch Erwachsenen).
Boyne ist ein Meister im zeichnen von emotionalen und moralischen Landkarten. Das fasziniert mich bei allen seinen Romanen. In gewisser Weise ist er ein moderner Dickens.
„Als die Welt zerbrach“ rüttelt einen als Leser:in moralisch durch, unterhält vorzüglich und lässt nicht mehr los. Einige werfen, nicht ganz zu Unrecht, Boyne immer mal wieder zu viele Zufälle und unwahrscheinliche Wiedertreffen/Vorgänge in seinen Geschichten vor. Das ist, meines Erachtens, aber ein sehr gewolltes Stilmittel. Es hat sogar was leicht Magisches manchmal. „Cyril Avery“, eins meiner Lieblingsbücher, ist da ein weiteres gutes Beispiel.
Wer sich auf eine sehr emotionale Geschichte rund um Schuld, Sühne und WKII einlassen möchte, greift hier unbedingt zu!!