So wie es aussieht, mache ich wieder den Anfang. Vielleicht komme ich aber später nicht mehr dazu, deshalb nun meine Gedanken zum 1. Teil: ☺
Zu Beginn habe ich nicht begriffen, dass hier biografische Eckdaten und Erlebnisse einer real existierenden Person erzählt werden. Erst als Hannah Arendt erwähnt wurde, ist mir klar geworden, dass Lisa Fittko keine fiktive Persönlichkeit war.
Bereits im Prolog und auch mit zunehmendem Verlauf der Geschichte wird klar, weshalb der Titel des Buches “Die Wagemutige” gewählt wurde. Lisa ist tatsächlich eine ausgesprochen kühne und unerschrockene Frau mit Mut zum Risiko. Die Szene mit dem jüdischen Schuhladen im Prolog oder in Kapitel 2 als Lisa für Alina einsteht, die durch Maxine Wunderlich und ihre Clique ihrer weniger Habseligkeiten bestohlen wurde, zeigen dies deutlich.
Lisa ist überzeugt von ihren Idealen und davon für die richtige Sache einzustehen. Nach erfolgter Internierung in Gurs versinkt sie nicht im Selbstmitleid oder bläst tagelang Trübsal, obwohl die Zustände im Lager fürchterlich sind. Sie bringt in ihrer Baracke einen Zusammenhalt hervor, so dass die Internierten sich als Gemeinschaft gegenseitig unterstützen und Waren oder Kenntnisse zum Wohle aller zur Verfügung stellen. Interessant zu sehen wie im Lager eine Art Schwarzmarkt mit Tauschhandel von Waren und Dienstleistungen stattfindet. Auch die Wärter mit ihren Familien sowie die spanischen Internierten nehmen daran teil.
Durch Lisas Kontakte aus Paris und ihre Hilfsbereitschaft gelingt es ihr auch sich über die diversen Ilôts zu vernetzen. Sie hört sich die Sorgen und Nöte der anderen Frauen an und lädt sich damit deren Probleme und Traurigkeit auf. Dass sie dabei auch Versprechungen macht, die sie vielleicht gar nicht einhalten kann, macht sie für mich nur noch sympathischer. Auch als sie erstmals beginnt Fluchtpläne zu schmieden, bezieht sie die anderen Frauen sofort in ihre Planung mit ein. Nur ihre eigene Flucht zu planen, wäre wohl wesentlich einfacher gewesen, aber das wäre für sie nie in Frage gekommen, da sie sich für ihre Gefährtinnen verantwortlich fühlt.
Mit Paulette verbindet sie eine tiefe Freundschaft. Die beiden verstehen sich scheinbar blind und ergänzen sich auch bestens. In so einer schwierigen Situation eine wahre Freundin an seiner Seite zu wissen, macht das Leben im Lager sicherlich etwas erträglicher.
Hans scheint Lisas grosse Liebe zu sein und die beiden verbindet eine sehr schöne Kennenlern- und Liebesgeschichte. Den L-Anhänger an ihrer Halskette mit dem L für Lisa, Liebe und liberté. “Ich will dich nicht an mich fesseln. Ich liebe dich für deine Unabhängigkeit.” Eine wunderschöne Liebeserklärung von Hans, die wohl nicht treffender für Lisa formuliert werden könnte. 😍
Ihre grosse Sorge um Hans und den Verbleib ihrer Eltern versucht sie möglichst zu verdrängen. Sie möchte sich verständlicherweise nicht zu sehr in Grübelein vertiefen. Ich frage mich, ob Lisa nebst ihrer Hilfsbereitschaft und ihrem Verantwortungsgefühl nicht auch deswegen für die anderen Frauen immer ein offenes Ohr hat?
Die Beschreibung zu den damaligen Kriegswirren sowie zum äusserst kaltblütigen und unzimperlichen Vorgehen des damaligen Nazideutschland auch in Nachbarländern gewinnt für mich auf Grund der aktuellen Situation wieder deutlich an Brisanz und regt zum Nachdenken an.
Als ich einige biografische Eckdaten zu Lisa Fittko nachgelesen habe, stellte ich fest, dass sie 1909 in Ungvar (damals Österreich-Ungarn) geboren wurde. Eine Stadt im Dreiländereck zwischen Ungarn, der Slowakei und der Ukraine. Ironischerweise scheint diese Stadt, genau wie Lisa, im Laufe der Jahre diversen Staaten zugehörig gewesen zu sein. Auch ihre Bewohnerinnen und Bewohner mussten sich wohl durch die zahlreichen “Grenzverschiebungen” immer wieder “neu einsortieren”. Nach Österreich-Ungarn, der Tschechoslowakei, Ungarn und der Sowjetunion gehört die Stadt Ungvar (oder Uschhorod) heute zur Ukraine.
Wieder einmal hast Du den Cliffhanger erwischt, liebe @Hortensia13. 😉
Ich bin sehr gespannt darauf weiterzulesen und nun die Flucht aus dem Lager zu verfolgen.