Zu diesem Roman kehre ich diesen Sommer immer wieder zurück. Alice und Eileen sind gleichzeitig verzweifelt und unbeschwert, sie denken über alle möglichen grossen Themen nach und suchen mit Ende zwanzig ihren Platz im Leben.
Mittlerweile habe ich den Roman mehrmals sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch gelesen und blättere immer wieder durch meine Lieblingsszenen. Wahrscheinlich fühle ich mich persönlich angesprochen. Aber offensichtlich bin ich nicht die einzige, denn Sally Rooneys neuester Roman ist ein Bestseller, hat mehrere Preise gewonnen und wurde mehrheitlich positiv rezensiert.
Rooney wird als Stimme der Millennials beschrieben. Das bedeutet für ihre Romane unter anderem, dass die Protagonist*innen – wie Rooney selbst – nach 1990 geboren sind. Sie diskutieren über den Klimawandel und über die Politik in Irland, sie finden ihr Leben bedeutungslos, aber versuchen trotzdem, ihm einen Sinn zu geben.
Anders als in Rooneys ersten beiden Romanen gibt es in Beautiful world, where are you aber eine leicht andere Nuance. Wie in Rezensionen schon bemerkt wurde, zeigt Rooney einen neuen Weg auf, um mit den grossen Fragen, der untergehenden Welt und dem eigenen Leben klarzukommen. Ganz banal ist das: Liebe. Ich möchte hier nicht spoilern, deshalb sage ich nur, dass Alice und Eileen am Schluss zufriedener sind als zu Beginn.
Rooney hat für ihren neuen Roman eine nüchterne, beobachtende Perspektive aus der dritten Person gewählt. Zum Teil beschreibt sie wie mit dem Blick einer nicht urteilenden Kamera, wie eine Wohnung aussieht oder welche Tippbewegungen auf dem Smartphone eine Figur macht. Mit dem Fachterminus nach Genette könnte man das wohl als externe Fokalisierung beschreiben. An diesem konstatierenden Blick liegt es vielleicht, dass der Schreibstil von Rooney teilweise als speziell beschrieben wird. Ich persönlich mochte den Stil.
Bei solchen eher neutralen Beobachtungen kommt es dann auf einzelne Wörter an: Ist Eileen ärgerlich oder bloss verwirrt? Von Anfang an hat der Roman mich dazu gebracht, mich für die genauen Formulierungen und deren Übersetzung zu interessieren. Wie sind ›friendly‹, ›benignly‹, ›fondly‹ und ›affectionately‹ übersetzt? Welche deutsche Entsprechung hat die Übersetzerin Zoë Beck gewählt hat?
Noch eine Bemerkung: Es gibt viele Sexszenen im Roman, und zwar ausschliesslich heterosexueller Sex. Dabei wird Homo- und Bisexualität durchaus thematisiert, Alice zum Beispiel ist bisexuell, Felix auch, Alice hatte früher eine längere homosexuelle Beziehung. Aber davon reden die Figuren immer nur. Homo- und Bisexualität werden damit um eine Ebene distanziert, indem sie nicht direkt in der Handlung vorkommen, sondern nur erwähnt werden. Warum wohl? Offenbar sind wir noch nicht so weit, dass ein Roman ein Bestseller werden kann, wenn auch homosexueller Sex explizit geschildert wird?
Sowieso werden gerade in den Sexszenen einige konservative Rollenbilder weitergetragen. Das zeigt sich nicht offensichtlich, man merkt es erst, wenn man es sich genau überlegt. Vielleicht ist das ein bisschen ein Nachlassen von feministischem Kampfgeist mit Anfang dreissig? Die Figuren, die Handlung und die transportierten Werte sind sonst offen und 21. Jahrhundert, würde ich sagen. Der Zeitgeist der Millennials eben.