Dass die Rechte am Werk von Hermann Lenz beim Suhrkampverlag liegen, ist Segen und Fluch zugleich, wobei der Segen sich zu Lebzeiten des Dichters ausgewirkt hat, was ja schon lange her ist.
Es gälte, diesen Ausnahe-Autor wieder zu entdecken, jedoch gibt Suhrkamp leider keine neuen Ausgaben heraus. Dass die Rechte am Nachlass von Lenz` Werk bei der gleichnamigen Stiftung liegen, haben wir es zu verdanken, dass eine unpublizierte Erzählung hier erstmals vorgelegt werden kann. Es handelt sich dabei um eine Vorstufe des später publizierten Romans “Der Kutscher und der Wappenmaler”, jenes Buch, das Peter Handke elektrisierte, was Lenz zum Durchbruch verhalf - da war er knapp 60 Jahre alt und hatte schon einige Bücher publiziert …
Der spätere Roman spielt in Stuttgart, in der Vorstufe hat Lenz die Handlung allerdings in Wien angesiedelt. Das ist für Lenz-Kenner ein Zeichen: Wien steht für die alte Ordnung. Es ist nicht so, dass der Autor obrigkeitstreu war, aber nach der Monarchie kamen die Nationalsozialisten. Darum siedelt er seine Handlungen oft an diesem Wende-Punkt an - eine untergehende Welt, der nur doch Barbarei folgt. Im Mittelpunkt steht der Kutscher Kandl, der hintersinnige Selbstgespräche führt, der weiss, dass seine Zeit eigentlich vorbei ist (immer mehr Autos), der sich um seine Nichte kümmert (wenn sie es zulässt). Es ist nicht die Handlung, die mich bei Lenz fasziniert - aber die Art, wie er einfallendes Licht beschreibt, wie er auf Menschen schaut, die Präsenz, die seine Figuren haben, beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue - und so auch hier.
Ein sehr ausführliches Nachwort des Lyrikers und Lenz-Kenners Norbert Hummelt rundet die Erzählung ab. Wer den Lenz entdecken möchte: bitteschön. Hiermit kann man gut beginnen.