Also, einerseits ist das Buch genau das, was ich erwartet habe: Eine Sammlung von Kurzgeschichten, jede erzählt einen Teil aus dem Leben einer «gemalten» Frau. Von der Erzählweise her sind die Geschichten aber anders als erwartet. Beim 1. Text war ich zuerst ziemlich irritiert: Wer ist «ich»? Ist es einfach eine Ich-Erzählerin? Ist es die Dame vom Bild, die erzählt? Hören wir hier gar die Autorin? Die sehr poetische Sprache des 1. Textes hat es wohl nicht gerade einfacher gemacht, den Text schnell richtig einzuordnen. (Und ich muss ehrlich zugeben, ich war froh, als ich gemerkt habe, dass die Erzählweisen von Geschichte zu Geschichte ändern, immer passend zur Persönlichkeit der jeweiligen Dame.)
Dass wir die Dame vom Bild selber sprechen hören, finde ich ganz spannend. Allerdings sind die Darstellungen so doch sehr subjektiv und ich hätte eine etwas objektivere Darstellung («Biographie-ähnlich») erwartet. Besonders die Stellen, wo die Dame über sich selbst als Bild spricht, finde ich doch ziemlich schräg (Bsp.: «Ich habe an Kolorit verloren.» «Ich wurde nachgebessert.» «Ich sitze hier, verharre in der Geschichte zwischen Schichten aus Öl und Tempera…».) Hie und da erschloss sich mir eine Stelle erst im Nachhinein, z.B. wenn man liest, dass die Dame Reisen unternommen hat, und man dann merkt, dass nicht die Frau zu Lebzeiten gereist ist, sondern das Bild anschliessend in verschiedenen Museen ausgestellt wurde. Solche Stellen klingen irgendwie etwas Zombie-mässig…
Betr. Sprache fand ich die erste Geschichte etwas mühsam: eine spezielle Kombination aus lyrischer und gesprochener Sprache, Zeilensprünge, sehr viele Pronomen (wo teils erst mal unklar ist, worauf sie sich beziehen), viele Einschübe und Gedanken. Ja, ich weiss, die Sprache ist passend zur porträtierten Dame, die ja Poetin gewesen sein soll, aber dieser lyrische Teil passte leider so gar nicht zu meinen Erwartungen einer Biographie. Schade fand ich hier besonders, dass man zwar (eben wie so oft bei einem Gedicht) die Gefühlslage der Dame nachempfinden konnte, aber was mich interessiert hätte (nämlich, was wirklich passiert ist), blieb verborgen. «Alles, was ich wirklich war, bleibt unser Geheimnis.» Wunderschön war dann aber die Beschreibung, wie sie ein Kind unter ihrem Herzen trägt…
Die restlichen Geschichten gefallen mir sehr gut: Zwar erfährt man auch hier etwas über die Gefühlswelt der beschriebenen Frauen (was auch spannend ist!), aber es ist definitiv mehr Handlung drin. V.a. wenn man eigentlich nichts über die beschriebenen Damen weiss, bin ich doch froh, erst mal die Eckpunkte ihres Lebens (wer, was, wann, wo) zu erfahren. Die Geschichte von der Bäckerei-Verkäuferin Margerita Luti und ihrem Verhältnis zum Maler ist einfach nur schön beschrieben, beim Lesen der Geschäftsidee von Hendrickje Stoffel musste ich doch sehr schmunzeln. Die Geschichte der listigen Tochter Maria Vermeer mit ihrem tollen Geschäftssinn hat mich sehr beeindruckt. Geblieben ist mir da der Satz «Ist das Rätsel gelöst, verschwindet der Zauber.» Vielleicht steht dieser Satz stellvertretend für das ganze Buch: Die Leben der Damen bleiben buchstückhaft erzählt (von einer eigentlichen Biographie hätte ich mehr Details erwartet) – aber vermutlich soll eben hier dieser Zauber erhalten bleiben und wir erfahren ganz bewusst nur Aspekte ihrer Leben. Bei der Erzählung von/über Angelika Kauffmann war ich dann doch erstaunt, dass sie aus Chur stammt – ich hatte ja keine Ahnung! Ich werde das nächste Mal, wenn ich in Rom bin, bestimmt Ausschau halten nach ihrem Grab im Pantheon. Bei der Erzählung von/über Marie-Guillemine Benoist fand ich dann sehr spannend, dass einige Textstellen geschwärzt sind – eine spannende Handhabung, die auch diesen Text einzigartig macht und ihn von den anderen abhebt.
Ich finde die Erzählungen über die «gemalten Damen» ganz toll, unterhaltend und (mit Ausnahme der ersten Geschichte) sehr süffig erzählt. Macht Lust auf mehr!