Ich bin bisher weitgehend positiv gestimmt, was das Buch angeht.
Das liegt vor allem an der Erzählstruktur des Buches, mit den parallelen Lebenserzählunge der beiden Protagonistinnen, die sich bezüglich der zeitlichen Struktur auf verschiedenen Ebenen beginnen und sich von dort aus konträr weiterentwickeln. Marians Leben (inkl. Vorgeschichte) wird in einem episodischen Zeitraffer ausgebreitet, während wir über Hadleys Erzählstrang Eindrücke von Marians Zukunft erhalten (z.B., dass sie verschollen gehen wird, zusammen mit einem Mann, der bisher noch nicht aufgetaucht ist). Hadleys Geschichte findet dagegen bisher innerhalb weniger Tage statt, dagegen mit vielen Rückblicken versehen.
Die Struktur mit den beiden Protagonistinnen wirft natürlich, wie @Fanny bereits aufgegriffen hat, die Frage auf, wieso die Autorin das Leben zweier Frauen im Abstand von ca. 100 Jahre aufzeichnet. Dabei fällt mir bisher vor allem eine Parallele auf: beide Frauen sind durch gesellschaftliche Zwänge und Erwartungen von Männern abhängig (z.B. Marian: Caleb, Wallace, etc.; Hadley: der Regisseur, ihr Onkel, etc.) und beide werden durch diese ungleichen Machtverhältnisse zu sexuellen Handlungen genötigt (Küssen für Haareschneiden bei Caleb; Blowjob für Filmrolle bei Hadley). Natürlich kann man an dieser Stelle argumentieren, dass beide Frauen nicht darauf angewiesen wären. Marians könnte auch mit langen Haaren und Hadley ohne Filmrolle leben. Mein Eindruck ist aber, dass Shipstead auf diese Weise zeigen will, wie Frauen durch gesellschaftliche Machtverhältnisse zu bestimmten Handlungen gezwungen werden können, wenn sie etwas erreichen wollen, was für einen Mann vollkommen normal wäre. Ein Mann muss niemanden küssen für eine neue Frisur und wird (zumindest eher selten) zu Sex genötigt, um eine Filmrolle zu erhalten.
Besonders interessant ist dabei, dass Shipstead sich für das Leben zweier Frauen entschieden hat, die nicht nur aufgrund der zeitlichen Distanz sehr unterschiedlich sind. So wächst Marian ohne finanzielle Mittel auf, während Hadley zumindest finanziell privilegiert ist. Auf diese Weise zeigt Shipstead, dass offensichtlich sozio-ökonomische Aspekte bei den gesellschaftlichen Machtverhältnissen keinen allzu grossen Unterschied zu machen scheinen.
Eine weitere Parallele zu diesen unterschiedlichen Verhältnissen sieht man auch in der Rolle der Oeffentlichkeit. Für beide Frauen ist die oeffentliche Meinung ihnen gegenüber kritischer, als sie es gegenüber Männern wäre. Im Falle Marians durch ihre Nebentätigkeit, bei Hadley durch ihr Fremdgehen.