Liebe Fanny,
Liebe Lesefans,
Es war toll, in dieser Leserunde dabei zu sein. Leider wurde dieses Leseerlebnis bei mir durch den Krieg in der Ukraine überschattet, welcher bei mir folgendes Gefühl ausgelöst hat: wie kann man sich über ein Buch austauschen, wenn gleichzeitig ein so schrecklicher Krieg tobt…? Aber je mehr man ins Handeln kommt, umso besser kann man mit dem Schrecken umgehen.
Auf jeden Fall war dieses Buch für mich ein Leseerlebnis! Und eine Rückblende in eine nicht allzu ferne Vergangenheit, wo Gleichstellung noch kein Thema in der breiten Bevölkerung war, und in der die meisten Bürger diesen Zustand einfach hinnahmen und ihn nicht hinterfragten. Dass dabei nicht nur die Frauen litten, sondern auch ein Teil der Männer wie etwa Walter Pine. Etwas dagegen zu unternehmen aber trauten sie sich nicht. Die Ungerechtigkeiten, die Elizabeth Zott stellvertretend für viele Frauen erlitten hatte, blieben da grössenteils ungesühnt. Das Gef¨ühl von Gerechtigkeit, dass am Ende aufkommt als Donatti vom Institut geschasst wird, hinterlässt einen schalen Nebengeschmack, da er ja nur wegen des Betrugs und dem Diebstahl von Daten zur Rechenschaft gezogen wurde, aber nicht für die versuchte Vergewaltigung und die anderen sexuellen Erpressungen. Dasselbe gilt für Phil, den Leiter des Senders, und Mr. Stone, den Mann von Harriet. Keiner wurde für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. So bleibt das Gefühl von Ungerechtigkeit, auch wenn unsere Hauptprotagonisten am Ende ihr Glück gefunden haben.
Eines würde mich noch interessieren: Welchen Bezug hat die Autorin Bonnie Garmus zur Schweiz? Zweimal wird unser Land dort erwähnt (Kapitel 16, Seite 166, und Kapitel 29, Seite 303). Dabei ist die erste Erwähnung doch etwas schräg: [Die meisten sprachen sogar nur eine - vielleicht zwei -, es sei denn, sie waren etwas, das sich Schweizer nannte, dann sprachen sie acht]. Heute wie 1960 spricht in der Schweiz praktisch niemand 8 Sprachen, und 1960 war für die Mehrheit der Schweizer bereits Hochdeutsch eine Fremdsprache… Auch der Vergleich, die Schweiz mit einer kovalenten Bindung zu vergleichen, ist für mich an den Haaren herbeigezogen […dann können Sie sich die kovalente Bindung auch als ein kleines europäisches Land vorstellen, sagen wir die Schweiz…].
Zu Beginn hat mich die Rolle von Halbsieben in der Geschichte gestört, weil er als rationales Wesen dargestellt wurde und so quasi vermenschlicht wurde. Im Laufe der Geschichte aber schlüpft der Hund in die Rolle des Erzählers, was schliesslich ein gelungenes Stilmittel ist und den Erzählfluss angenehm auflockert.
Mehrere Male ist mir der Spruch meines ersten Chemielehrers eingefallen: “Chemie ist nicht alles, aber alles ist Chemie”. Und die Chemie dieses Buches hat mich definitiv in den Bann gezogen.