Saša Stanišić vereint in seinem neuesten Werk verschiedene Geschichten mit grosser Fabulierlust, sprachlichem Feingefühl und der richtigen Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit.
Er beginnt im Sommer 1994. Damals 16 Jahre alt, schmieden er und seine Freunde Pläne für die kommenden Ferien und für das Leben. Denn wie wäre es, so Sašas Freund Fatih, wenn wir unsere Zukunft vorab anprobieren könnten? Und nur, wenn sie uns passt, loggen wir sie ein. Strengen wir uns für eine tolle Zukunft noch an oder gehen wir davon aus, wir erhalten sie ohnehin? (Die gleiche Frage stellt sich natürlich auch bei einer weniger tollen Zukunft.) Es ist allein der Ton dieser ersten Geschichte, der mir gefallen hat. Verschachtelte Sätze mit verknappter Sprache, Jugendsprech gemischt mit philosophischen Gedanken.
Stanišić wechselt in den nun folgenden, unterschiedlich langen Geschichten die Perspektiven, die Orte, das Register und er springt in den Zeiten. Ist er selber Figur in einer Geschichte, schreibt er als Ich-Erzähler, sonst in der dritten Person. Zu manchen Figuren kehren wir öfter zurück. Sie alle eint, dass sie einmal geträumt und sich ihr Leben vorgestellt haben – und dass sie immer noch träumen und diese Träume mit der Realität abgleichen. Was ist (noch) möglich? Was ist ihnen wichtig?
Manche Geschichten sind leicht, humorvoll, bringen uns sogar laut zum Lachen (die von Georg Horvath beispielsweise). Andere muten experimentell an («Es pfeift der Wind…» liess mich leicht verwirrt zurück). An wieder anderen begeisterte mich der Zusammenhalt, die tiefe Freundschaft («Gründe einer Verspätung»). Es gibt aber auch ernste Töne dazwischen, die von Rassismus und ungleicher Chancenverteilung erzählen, manchmal nur in einem Nebensatz erwähnt, manchmal deutlich konkreter («Traumnovelle» und «Der Hochsitz»).
Grandios, wie Stanišić den roten Faden spannt und verfolgt, wie er am Ende wieder zurückkehrt an den Anfang, wie er diesen abwandelt und somit Raum lässt für Diskussionen mit meinem Buchclub. Es steckt Herzblut in diesem Buch, in den Figuren, in den Fragen, die er aufwirft. Mich haben seine Geschichten berührt, unterhalten und nachdenklich gestimmt.