Und wieder ist eine Woche vorbei - wie die Zeit doch fliegt.
Mein allgemeiner Eindruck vom zweiten Teil: 3 von 5
- Die Logikfehler unterbrechen für mich nach wie vor (vielleicht sogar noch mehr als im Teil 1) den Lesefluss. Beispiele sind die Schüsse bei Keller, insbesondere aber der Schuss bei Ober. Ausserdem gibt es interne Dissonanzen bei Saras Charakterisierung. Sie ist meiner Meinung nach einfach nicht gut geschrieben. Einerseits ist sie in den (bislang recht folgenlosen) Szenen mit ihrer Familie mit dem Kopf konstant bei der bösen Sex-Industrie. Den Kommentar von Rydell, dass bei Stellans Festen “hübsche Mädels” (S. 183) dabei waren überhört sie jedoch komplett - gut, die rosa Brille ihrer Vergangenheit und das Idol Stellan mögen das erklären, aber sie ist eigentlich zu obsessiv was Sex-Arbeit jeglicher Art anbelangt, als dass sie so ein Kommentar nicht zumindest (mental) aufhorchen lassen sollte.
- Sara hat immer gerade ‘das wichtigste Rätsel’ im Kopf, nur das sich das wichtigste Thema ständig ändert - Familie, Stellan, … Dass Agneta immer noch verschwunden ist hat sie dabei aber anscheinend vergessen.
- Saras Umgang mit David, der entgegen meinen Erwartungen sogar noch einmal auftaucht, ist für mich abstossend. Es fehlt jede Selbstreflexion, die zeigen könnte, dass Sara merkt, dass ihr Verhalten nicht in Ordnung ist. Im Gegenteil, sie beleidigt David auch noch in ihren Gedanken (“Märtyrer zu spielen”, S. 192) und schätzt später ab, ob er wohl noch wündent ist. In der Zeit gibt es eine beinahe Entschuldigung, aber nie ein tatsächlich ausgesprochenes Sorry.
- Saras Beziehung zu ihrem Mann ist extrem ungesund, und das schon bevor sie sich durch seine privaten Nachrichten scrollt
- Sara bricht in die Privatwohnung einer Frau ein, nur weil diese Nacktbilder an Martin geschickt hat; kaum ein Satz wird darauf verschwendet wie abgrundtief falsch dieses Verhalten ist
Zu Kapitel 21, ab S. 192
(hier kommt der Anfall, den ich schon in Teil eins befürchtet hatte, nennen wir es Charlies Anfall Nr. 1)
Das Kapitel ist überflüssig, es trägt nicht zur Geschichte bei und hat keinen Zweck. Nun, es hat durchaus einen Zweck, aber der passt mir persönlich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Denn so wie ich das sehe, sind (bisher) alle Vergewaltigungsszenen möglichst obszön beschrieben, und zwar nur deshalb, um den Leser zu schocken und Ekel hervorzurufen. Es geht dabei nie um die Frauen selbst!
Schlimmer noch, die Opfer der sexuellen Gewalt werden passive-agressive schlecht gemacht, weil diese nicht mit Sara kooperieren. Keine der beiden Frauen in der Szene hat einen Namen, Himmelherggottnochmal! Es geht nicht um sie, es geht nur darum, dass Sara wieder jemanden verprügeln kann, weil alle Freier böse widerliche Menschen sind, und sie ihre Wut rauslassen kann. Wie sich die Frau im Raum dabei fühlt, wenn ihr Freier von der Polizei grundlos geschlagen wird, interessiert keinen Menschen! (‘grundlos’ - ist natürlich moralisch nicht grundlos, aber es gab auch keinen Angriff, sprich keinen rechtlichen Grund für die Gewalt)
Sara und David sitzen vor irgendeinem Haus. Wie geht es Becky? Wird sie je wieder vorkommen? (Ich vermute nicht?) Kein Wunder, dass die Frauen der Polizei nicht trauen!
Die Szene hätte auf zig verschiedene Arten geschrieben werden können, ohne dabei so grotesk und unmenschlich gegenüber dem Opfer zu sein. Für mich ist das Ganze nur geschmacklos und ich kann es einfach nicht ab, wenn sexuelle Gewalt wie ein Gewürz grosszügig in eine Geschichte gestreut wird, obwohl es wunderbar auch ohne geht. Man kann eine Geschichte schreiben, bei der sexuelle Gewalt ein Thema ist, aber meiner Ansicht nach hat Sköderman einfach nicht die nötigen Fertigkeiten oder die Feinfühligkeit, dies gut zu schreiben.
Ich habe das mal in einem Buch-Review auf YouTube gesehen, und ich finde es trifft den Nagel auf den Kopf (frei aus dem Englischen übersetzt): Wenn man irgendetwas anderes schreiben kann als eine Vergewaltigung, dann soll man nicht über Vergewaltigung schreiben.
Sexuelle Gewalt ist im Geiger bisher (Kap. 21!) nichts weiter als ein Schock-Moment, der aber nichts zur Geschichte beiträgt. Der Fokus liegt nie bei den Opfern und wie sich die Opfer dabei fühlen. Der Fokus liegt beim Freier (und hat dieser Gedanken nicht seine ganz eigene, ungesunde Dynamik?), der Fokus liegt bei Sara und ihren Gefühlsausbrüchen und ihren Aggressionen. Entschuldigung für den Ausdruck, aber F*** THAT!
Abu Rasil
- Einerseits Breuers grosses Ziel, der gealterte Superterrorist, andererseits auch nur ein Handlanger?
- Die Sowjets haben Atombomben verbuddelt, und keiner weiss wo. Die DDR wurde nie informiert, und die EU und USA bekommen keine Akteneinsicht (und keiner der damals mitgegraben hat, lebt noch und singt? - Der Gedanke kommt gar nicht erst vor)
- Trotzdem weiss jemand in Abu Rasils Ring in Schweden, irgendwas zum Ort, wo die Bomben sind??
S. 304
“Wenn Abu Rasil erfährt, wie man die Bombe zündet, …”
“…Und wartet auf ein Startzeichen seines Auftraggebers. Sobald sie bereit sind, die Kernwaffen zu sprengen…”
- Nur weil man geheimnistuerisch sein will, kann man die Logik doch nicht einfach zum Fenster rausschmeissen! Welche Info braucht Rasil/ sein Ring denn noch? Und wozu?!
Ich habe bei einigen eine deutliche Verwirrung über die historischen Zusammenhänge gesehen - und ich glaube, das Problem ist nicht die Geschichte hinter dem Buch. Es isch schlicht schlecht beschrieben! Es mag ein Übersetzungsfehler sein - kann ich nicht beurteilen - aber gerade bei der oben zitierten Szene macht das Gespräch einfach keinen Sinn! Das hat mit (fehlenden) Geschichtskenntnissen nix am Hut…
Sara und der BND / die Säpo
- Sara erhält eine relativ grosse Menge an Informationen, die ganz offensichtlich vertraulich/ geheim sind; wie zum Beispiel den Standort des BND Campers, oder die Tatsache, dass der BND sich überhaupt im Land auf Mission befindet - wenn die Säpo eingeweiht ist, wieso nutzen sie nicht die Büros der Säpo? Und da Sara initial keine Geheimhaltungserklärung unterschreiben muss, erzählt sie natürlich sofort weiter, was sie weiss (S. 217)
- Der Umgang mit geheimen Informationen im Buch ist für mich bisher extrem fraglich (nicht nur Sara, sie ist noch fast diejenige, deren Verhalten ich am ehesten nachvollziehen kann, schlicht weil sie eben nicht Teil eines Geheimdienstes ist)
- Saras Verhalten beim ersten Treffen mit dem BND ist meiner Meinung nach extrem kindisch (Schweige-Spiel); was ich aber viel schlimmer finde, ist, dass es auch noch funktioniert!
- Beim zweiten Treffen gibt es dann endlich eine Geheimhaltungserklärung; ich muss mich an der Stelle aber fragen, ob mal jemand einen Background-Check bei Sara gemacht hat? (und zwar nicht nur schnell schauen, ob sie eine offene Parkbusse hat)
- Ich hatte mir vom Spionage-Teil der Geschichte mehr Spannung erhofft - bisher fallen alle Interaktionen (und Aktionen) der Geheimdienste ziemlich flach aus, und dass sie teils so schlecht geschrieben sind, finde ich einfach nur schade
Die Zwei Telefonnummern
Das find ich ehrlich gesagt genial! Wirklich clever - schade nur, dass sich niemand daran zu erinnern scheint, wer den Anruf entgegengenommen hat (oder mal nachfragt, ob sich eine der Töchter erinnern kann). Es wird einfach… nicht thematisiert, vermutlich weil sonst endlich jemandem klar werden müsste, dass Agneta eine Mordverdächtige sein sollte!
Martin und die Escortdame
- Dass Saras Mann anscheinend nicht mit der Escort geschlafen hat, war für mich die überraschendste Wendung im ganzen Kapitel
- Saras Fehlverhalten (Nachrichten Lesen –> Gitarre zerstören) hingegen, wird nicht besser und wird auch nach wie vor nicht thematisiert und das obwohl sie meiner Meinung nach immer weiter eskaliert
Agneta
- Auch im zweiten Teil meine Rettung - sie bleibt für mich die interessanteste Figur
- Es ist immer noch unklar, wer sie ausgebildet hat –> sie wurde in einer Wüste trainiert, was die europäischen Geheimdienste eher unwahrscheinlich macht (übrig bleiben für mich: KGB, Mossad, ev. die CIA (via al-Qaida?) oder dann jemand ganz anderes, den wir noch überhaupt nicht erwarten)
- Sie ist klar gegen Abu Rasil und will ihn aufhalten - aber wer ist/ war ihr Boss? Wer gab ihr vor Jahren ihren Auftrag?
- Was ich in Agnetas Teilen sehr unglaubwürdig finde ist ihre Verkleidung - ich glaube sehr wohl, dass jemand der plötzlich kurz geschorenes Haar hat, und sich nicht mehr schminkt, von der Öffentlichkeit nicht mehr erkannt wird - was ich aber nicht glaube ist, dass ihre Tochter und ihr Enkel (der gerade noch eine Woche bei ihr war) das nicht tun. Mehr noch, selbst wenn man das glaubt - Malin hätte doch mindesten zweimal hingeschaut, immerhin wird ihre Mutter vermisst. Und weiter, wenn Malin ihre Mutter nicht erkennt, wieso um alles in der Welt erkennt Ober, der sie seit Jahren nicht gesehen hat, sie bereits auf den zweiten Blick?
Kapitel 33
(ab Seite 310 - den Rest mag ich wirklich nicht kommentieren, ist mir zu blöd)
- Initial wieder eine überflüssig detaillierte Sex-Szene / Vergewaltigung (Jennifer)
- Demgegenüber steht Eva, ein erstes Opfer, das eine eigene Stimme bekommt. Abgesehen von einigen (gedanklichen Einschüben) spricht Eva über ihre Erfahrung und wie es sie beeinflusst hat - das finde ich sehr gut (also der Schreibstil versteht sich), und zeigt auch wieso mich alle anderen Szenen dermassen aufregen (vergl. Charlies Anfall Nr. 1)
- Ich frage mich, ob Jane deswegen vom Haus der Bromans weggezogen ist?
Charlies Anfall Nr. 1.5 - Kindesmissbrauch als Plot-Device
Es verhält sich für mich hier ähnlich, wie mit dem Thema der sexuellen Gewalt im Buch allgemein (Ausnahme: Eva) - heisst, es geht mir gegen den Strich.
Bisher macht es für die Story als Ganzes keinen Unterschied, ob Stellan auch noch ein Kinderschänder war. Natürlich, er wird dadurch noch unsympathischer - aber wenn ein Stasi-Spion auch noch ein Kinderschänder sein muss, damit man ihn nicht mag, hat der Autor meiner Meinung nach versagt.
Ich finde die Wendung mit Stellan nicht wirklich überraschend; es passt zum Autoren, noch einmal einen draufzustehen, um den Schock-Faktor hoch zu halten. Nur finde ich bisher, dass es nicht nötig ist. Es gibt auch seeeehr viele andere Möglichkeiten, Menschen unter Druck zu setzen, ohne dass man sie Kinder missbrauchen lässt und diese Tatsache dann zur Erpressung braucht.
Für mich ist dieser ganze Teil von Stellans Geschichte also überflüssig… (und ist in Geschichten mit dunklerem Hintergrund (Romane, Krimis und Thriller, etc.) mittlerweile nicht jeder zweite ein Kinderschänder? Wird das ausser mir sonst niemandem langweilig?)
Voi ch’entrate - ein kleines Detail für Dante-Fans
Das Zitat auf Seite 266 stammt aus Dante Alighieris Divinia Commedia (Teil 1 - Inferno) und ist die wohl bekannteste Zeile aus dem Buch - “Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate” - Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr hier eintretet.
Ein schönes, sehr bekanntest Zitat, was leider überhaupt nicht zur Stimmung der Szene passt, die Sköderman beschreibt 🤦🏼♀️😩😅
(Sorry, der kleine Geek in mir musste kurz raus!)
Auch wenn ich eigentlich nur über den zweiten Teil herziehe, so hatte ich doch ein bisschen mehr Spass als in Teil eins - der Spionage-Teil hat zumindest gute Ansätze, und falls ich sonst nichts Positives sagen kann, so hatte ich wenigstens eine gewisse Freude daran, mich mit dem Buch und den Problemen, die ich darin sehe, auseinanderzusetzen.
Ich entschuldige mich für meine beiden Anfälle, das Thema begleitet mich in Büchern und Geschichten schon mehrere Jahre (und auch in Filmen und Serien - hallo, Game of Thrones!) weswegen ich relativ emotional werde, wenn ich wieder einmal darüber stolpere.