Nach der Lektüre dieses Buches bleibt bei mir ein ambivalentes Gefühl zurück. Das Setting und die Grundidee der Geschichte fand ich ausgesprochen spannend. Ich habe viel Neues über die Kultur und die historischen Bezüge erfahren – etwa zur Geschichte Malaysias / China oder zum Mordfall Ethel Proudlock. Viele dieser Elemente basieren auf realen Ereignissen, was dem Buch zusätzliche Tiefe verleiht.
Trotzdem konnte mich die Handlung nicht vollständig überzeugen. Bis zum Ende blieb für mich unklar, welche Geschichte Tan Twan Eng eigentlich erzählen möchte. Vieles wird angerissen, angedeutet, aber in meinen Augen nicht konsequent weitergeführt. Einige Handlungsstränge verlaufen scheinbar ins Leere. Vielleicht hatte es auch Einfluss, dass ich zuvor „Die Geschichte der Menschen in uns“ von Benedict Wells gelesen habe – ein Buch welches anschaulich zeigt, wie man eine Geschichte aufbaut und schreibt.
Immer wieder stellte ich mir die Frage: Warum diese Szene? Was bringt mir diese Querverbindung? Beispielsweise auch die zwei Szenen (die du, sweetwhite, angesprochen hast) sind zwar bildhaft beschrieben, ihre Bedeutung für die Hauptgeschichte blieb mir jedoch unklar.
Die literarische Umdeutung des Proudlock-Falls war vermutlich nötig, um Lesley eine stärkere Rolle zu geben und ihre spätere Auswanderung nach Afrika zu begründen. Dennoch bleiben auch hier Fragen offen – insbesondere, was Robert dazu bewegt, sich selbst und Lesley in der fiktiven Kurzgeschichte „Der Brief“ wiederzuerkennen, obwohl diese eigentlich Ethels Prozess behandelt. (S. 340: „Wir sind wohl glimpflich davongekommen – auch wenn er eine Mörderin aus dir gemacht hat.“) Interessant ist auch, dass die Figuren in der Originalgeschichte Lesley (für Ethel) und Geoffrey (das Mordopfer) heißen – in Tan Twan Engs Roman sind sie jedoch Bruder und Schwester. Weiss jemand mehr zu diesem literarischen Kniff?
Ich hätte mir eine unabhängige Lesley am Ende gewünscht. Es stimmt mich etwas wehmütig, dass sie nach 40 Jahren ausgerechnet dann aufbricht, als sie ein Lebenszeichen von Arthur erhält – aus einem Land, in dem sie nie leben wollte und in dem sie letztlich auch nichts mehr hält. Ihre Kinder leben längst im Ausland, einer ihrer Söhne ist sogar in Malaysia begraben.
Zum Schluss danke an @sweetwhite für den Hinweis zur Beziehung zwischen Willie und Gerald – schön zu wissen, dass sie Bestand hatte.
Danke an euch alle. War spannend gerade dieses Buch in einer Leserunde gemeinsam vertiefen zu können.