Ich bin wirklich kein allzugrosser Fan von sogenannten “Erfahrungsberichten”, und Jon Krakauer war mir in erster Linie als Schriftsteller bekannt, der auch den Erlebnissen des jungen Chris McCandless in “Into the wild” Leben eingehaut hatte. Dass Krakauer selber sowas wie ein Abenteurer war, und über einen recht umfangreichen Erfahrungsschatz im Bergsport verfügte, war mir zugegebenermassen bis vor kurzem nicht bekannt. Bis mir dieses Buch zufällig wieder mal in die Hände gefallen ist.
Krakauer erzählt, wie er als Journalist den Auftrag fasste, für ein Outdoormagazin einen Bericht über die zunehmende “Kommerzialisierung” des Mount Everests zu schreiben. Über die “rundum-sorglos-Pakete” die von erfahrenen Bergführern gegen das läppische Entgelt von damals gegen die 65000.– Dollar, dafür aber quasi mit einem Gipfelversprechen für die Teilnehmerschaft, angeboten wurden und auch heute noch angeboten werden.
Schon alleine der Beschrieb des Unterfangens bis zum fatalen Wendepunkt, an dem genau bei dieser Expedition, an der Krakauer als Journalist beteiligt war, alles in die Hose geht, war hochinteressant zu lesen. Faszinierend für mich als wenig sportbegeisterte Person: Die gesamte Expedition, von der Anreise mit Flugzeug, Bus, dann weiter zu Fuss mit Übernachtungen in Behausungen, die noch nicht im entferntesten auch nur einen Funken Komfort bieten; diversen Teilnehmern der Expedition, die sich noch vor Erreichung des Basislagers übelste Lebensmittelvergiftungen oder auch aufgrund der mit Yakdung beheizten Schlafsäle einen hartnäckigen Reizhusten eingefangen hatten, die sich in der Todeszone, also auf über 8000 Metern über Meeresspiegel noch als verhängnisvoll herausstellen sollten. Dann die ersten kräftezehrenden Aklimatisierungsausflüge in die höhergelegenen Camps; all dies klingt noch nicht mal im Ansatz so, als ob es irgendjemandem Spass machen könnte. Und doch finden sich jedes Jahr wieder mehr oder minder qualifizierte Berggänger, die für ein paar wenige Minuten auf dem Dach der Welt ihre Gesundheit (und wie sich immer wieder zeigt auch ihr Leben) nachhaltig aufs Spiel zu setzen bereit sind.
Mich faszinierte dieses Buch gerade wegen all jener Charaktere, die hier, wohlgemerkt aus der persönlichen perspektive Krakauers geschildert, alle ihren ganz eigenen “Dachschaden” haben, den es wohl benötigt, um sich so einer Tortur zu unterziehen. Da wäre zum Beispiel Beck, ein Pathologe aus den USA, der zwar Erfahrung am Berg mitbringt, jedoch verwunderlicherweise nicht genug, um zu wissen, dass man besser nicht in brandneuen, uneingetragenen Bergschuhen zum Mount Everest reist. Doug, ein Postbote aus den USA, für den Kinder aus einer Grundschule Geld gesammelt hatten, damit er, nach einem vergeblichen ersten Versuch, nochmals einen Anlauf auf den Gipfel des Everest unternehmen konnte. Oder Yasuko, eine ehrgeizige Bergsteigerin aus Japan, und bis dahin die älteste Frau, die jemals den Gipfel des höchsten Berges der Welt erreichen sollte. Die Gruppe wird von Rob Hall, dem erfahrenen und detailversessenen Inhaber des Unternehmens “Adventure Consultants” angeleitet, der eigentlich nichts dem Zufall überlässt. Aber eine Bergtour die auf einen Gipfel führen soll, der in den Jetstream hineinragt, anzuleiten, birgt immer Überraschungen, und sein eigener Ehrgeiz, so viele zahlende Kunden wie möglich auf den Gipfel zu brigen lässt ihn dann im entscheidenden Moment doch den einen oder anderen Fehlentscheid treffen.. .
So erlebte ich - wohlgemerkt kuschlig auf meiner Couch fläzend mit einer wärmenden Tasse Tee in der Hand - mit, wie sich gegen Mitte des Buches alles zum Schlechteren wendet. Zahlreiche Details führen schliesslich zur Katastrophe, der binnen weniger Tage ganze 13 Personen zum Opfer fallen sollten. Es fühlt sich ein wenig voyeuristisch an, das Unglück so aus zeitlicher und räumlicher Entfernung zu betrachten, doch das ist es wohl, was den Lesern von Erfahrungsberichten so gefällt. Die Faszination, die der Berg auf seine vermeindltichen Bezwinger ausübte, hat mich jedenfalls auch gepackt.
Sehr lesenswert gerade in Zeiten wie diesen, da viele dazu verdammt sind, sich die grosse weite Welt nach Hause zu holen, und es auch dem grössten Couchpotatoe nach einer Prise Abenteuer dürstet.