Guten Morgen in die Runde 🙂
Das sind meine Eindrücke und Gedanken zu unserem dritten Leseabschnitt:
Das 18. Kapitel beginnt mit der Sorge von Rachel, dass sie sich nun erneut mit einer Trennung von Carey und den damit verbundenen Schmerzen konfrontiert ist. Doch wie mir scheint, bewirkt die räumliche Distanz zwischen Rachel und Carey eher, dass sie sich auf einer emotionalen Ebene etwas näher zu kommen scheinen. Bewirkt die räumliche Distanz bei Carey eventuell, dass er sich seiner Gefühle für Rachel bewusster wird? Zumindest hatte ich zuvor aufgrund der Erzählperspektive von Rachel, den Eindruck erhalten, dass Carey gegenüber Rachel seine Gefühle nicht so gut in Worte fassen kann und sie sogar immer wieder etwas auf Abstand hält. Nicht zuletzt hat Rachel im vorherigen Leseabschnitt ihre Besorgnis darüber geäussert, dass Carey Commitment-Probleme haben könnte (S. 179; siehe auch S. 217). Nicht auszuschliessen wäre hier jedoch, dass Rachel ihre eigenen Bindungsängste auf Carey projiziert…
Ebenfalls zu Beginn von Kapitel 18 wird nun auch Rachel selbst von den Folgen der Wirtschaftskrise heimgesucht und wird, obwohl sie ihre Arbeit im Buchladen gut zu machen scheint, entlassen. Gleichzeitig scheint Rachel auch jetzt noch ihren Eltern aufgrund deren verschlechterter finanziellen Lage einen Vorwurf zu machen, dass sie während des Studiums arbeiten musste (S. 262f.). Sie scheint also entweder ihre Situation, in welcher sie aufgrund der Folgen der Wirtschaftskrise und nicht aufgrund von nicht-zufriedenstellender Arbeit entlassen wurde, nicht auf ihre Eltern übertragen zu können und einzusehen, dass auch ihre finanzielle Lage mit der Wirtschaftskrise zusammenhängt oder sie appelliert in diesem Moment sehr bewusst an die Schuldgefühle ihres Vaters. Beides erachte ich als nicht-erwachsenes und ziemlich kindliches Verhalten. Andererseits ist Rachel in diesem Augenblick der Erzählung womöglich selbst überfordert mit ihrer Situation, was dieses unpassende Verhalten ihrerseits für mich zwar nicht rechtfertigt, aber zumindest nachvollziehbarer macht.
Sehr interessant finde ich, dass Rachel nach ihrer Kündigung und nachdem sie Carey kurz angerufen hat, direkt zu den Harrington-Byrnes geht. Erhofft sich Rachel dort ausschliesslich eine Gehalterhöhung oder vielmehr Zuflucht und Trost? S. 209 bestätigt sowohl das eine als auch das andere: “In meiner Vorstellung war ich zu den Harrington-Byrnes gekommen, um von Deenie eine Gehalterhöhung zu fordern. In meinem Herzen ging ich hin, weil ich fühlte, sie seien die Einzigen, bei denen ich mich fallen lassen konnte.” Hier wird ersichtlich, wie eng die Beziehung zwischen Rachel und den Harrington-Byrnes aus Rachels Sicht mittlerweile wurde. Gleichzeitig scheint mir hier auch sehr klar ersichtlich zu werden, wie einsam (und im Stich gelassen?) sich Rachel in diesem Moment fühlen muss.
Dass sich Dr. Byrne im Verlauf dieses Abends herausnimmt, Rachel zu sagen, dass er Carey für sie unpassend finde, weil sie “etwas Besseres als einen unsichtbaren Mann” (S. 214) verdient habe, hat mich erstaunt. Ist ihm denn nicht bewusst, dass er für James genauso ein unsichtbarer Mann ist, der mal hier und mal nicht hier ist und die ganze Beziehung zu James unter seiner Kontrolle zu haben scheint? Hat er hier wirklich zu wenig Selbstreflexion an den Tag gelegt oder gesteht er sich hier ein, dass auch James etwas Besseres verdient hätte? Ist in diesem Zusammenhang vielleicht der Grosseinkauf, den Dr. Byrne in die WG geschickt hat, eine Art Entschuldigung bzw. eine Milderung des eigenen schlechten Gewissens?
Sehr bewegt hat mich der zweite Teil des Leseabschnitts, indem Rachel erfährt, dass sie schwanger ist. Den Entschluss zur Abtreibung scheint sie aus meiner Sicht relativ schnell zu fassen. Dass eine Abtreibung im Irland der Erzählzeit nicht möglich ist, sondern dass Rachel dafür eine kostspielige und lange Reise nach England machen muss, hat mich sehr beschäftigt. Nicht zuletzt ist dieses Thema auch heute noch unglaublich aktuell und brisant. Ich persönlich finde es sehr wichtig, dass die Thematik von Abtreibungsverboten in diesem Roman Raum erhält und an der Protagonistin aufzeigt, was diese für einzelne Individuen bedeuten.
Die Entscheidung von Rachel, Carey nicht von der Schwangerschaft zu erzählen, finde ich zwar insofern nachvollziehbar, als dass Carey tatsächlich bereits sehr belastet zu sein scheint und auch ich Hemmungen verspürt hätte, ihm noch mehr “aufzuladen”. Andererseits hätte Carey aus meiner Sicht ein Recht auf diese Information und er hätte Rachel womöglich auch gerne durch den Abtreibungsprozess hindurch unterstützt.
Die “Erpressung” der Harrington-Byrnes am Ende des Leseabschnitts habe ich zuerst als sehr dreist erachtet. Nach wie vor finde ich diese Handlung von Rachel schwierig und vielleicht sogar verwerflich. Doch je mehr ich mir darüber Gedanken gemacht habe, fragte ich mich immer wieder: Was wäre denn Rachels alternative Handlungsoption gewesen…?