na also, nun hab ich das Buch nochmals durchgelesen und hoffe, die Stammbäume und Verflechtungen so ungefähr verstanden zu haben. Wahrlich ein Genuss, ein Indizienroman aus Haken schlagenden Lebenslinien.
Zum dritten Teil und zum Fazit:
Was waren Vermutungen, und wie waren die Verhältnisse wirklich? Durch noch so geschicktes und akribisches nachforschen, kombinieren und vermuten lässt sich vergangenes Schweigen nicht klären. Und doch: was aus Scham verschwiegen wurde, beeinflusst das Leben der nachfolgenden Generationen. Mirco möchte erneut schweigen, Teresa aber reden, und Alioth? Welche Geschichten kann man ruhig auf sich beruhen lassen, und welchen muss man nachgehen, und dann vor allem: welche Geschichte lebe ich weiter? Lass ich mich rückwärts festschreiben oder wage ich trotz ungewisser Vergangenheit den Schritt nach vorne?
Immer deutlicher wird, dass es so ist, wie Bruno sagt: «Vielleicht ist es nicht, wie du denkst». (149). Die Verstrickungen greifen immer weiter um sich, und doch lässt sich beinahe nichts klar sagen. Vergnüglich ist es alleweil zu lesen, immer wieder verblüfft Rebekka Salm mit treffenden Wortspielen:
Plaudern «über nichts von Bedeutung, nur über die kleinen Dinge, die erst als Summe von Bedeutung sind». (142)
«Wie viel wahr steckt eigentlich in wahrscheinlich? Und wie viel Schein, der gewahrt werden will»? (144)
Und als Fazit bleibt: «So könnte es gewesen sein. Ich bin es, die Geschichten erschafft. Nicht umgekehrt». (194)
Ja, die Zeit läuft nur vorwärts, sie schlägt keine Haken!
Es ist einfach genial, wie die Geschichten ineinandergreifen und am Ende doch aneinander vorbeilaufen. Wie Rebekka Salm das ganze eigene Konstrukt, die gefüllten Leerstellen, die fehlenden Geschichten erfindet und am Schluss mit wenigen Pinselstrichen (Frauenkleider, Mumps, Irgendeiner) ad absurdum führt. Und am Ende steht die Frage, ob nicht Teresa und Mirco, sondern Alioth und Teresa über Umwege miteinander blutsverwandt sind.
«Die Wahrheit ist auch nur ein Märchen, an das alle glauben». (10)
«Es ist die Geschichte, die aus der Brockenstube hinaus- und in eine andere, bessere Zeit hineinführt». (13)
«Und so frage ich mich, ob ich es bin, die Geschichten erschafft, oder ob umgekehrt die Geschichten mich erschaffen». (13)
Weder Schweigen noch Scham können die Geschichte ändern, so wie sie wirklich war; und auch wenn man ihre Leerstellen durch Geschichten füllt, bleibt nichts Andres, als vorwärts zu leben, denn wir sind weder Jäger noch Hasen.