Es geht um mehr, als nur um ein Beziehungsdrama, was sich in diesem Buch entfaltet. Aber es dreht sich um ein Beziehungsdrama - eines mit viel Brisanz, gerade wenn man bedenkt, in welcher Zeit das Buch geschrieben und veröffentlicht wurde. 1956 in Amerika.
David, Amerikaner, der in Paris lebt, liiert mit Hella, der er einen Heiratsantrag gemacht hat und die etwas Zeit zum Nachdenken braucht. David lernt in einer Bar Giovanni, der dort arbeitet, kennen, einen schönen jungen Mann aus Italien. Sie fühlen sich gegenseitig sehr angezogen und beginnen eine Beziehung. David ist nicht “frei”, er empfindet Scham. Da ist auch sein Vater, der von seinem Sohn erwartet, dass er heiratet und seinen ordentlichen Weg im Leben macht. Da ist auch Hella. Und dieser faszinierende Giovanni, mit dem er in Paris herumzieht, in dessen (unordentliches) Zimmer er auch zieht. Hella kehrt zurück und hat sich für David entschieden. Giovanni liebt David - er will ihn auf keinen Fall verlieren. David aber geht zu Hella.
Das klingt alles nach einem Drama, wie es so oft beschrieben wird - ist es aber nicht. Die Geschichte geht viel tiefer. David ist unfähig, zu lieben. Er hat Interessen, die ihm davor stehen. Giovanni liebt ihn zwar, aber auch er geht “Beziehungen” ein, die unehrlich sind. David ist auch Hella gegenüber nicht ehrlich. Er empfindet eigentlich nichts für sie. Hin und wieder begegnet man auch dem Thema Rassismus.
Geht es um eine grosse Unzulänglichkeit, die uns eigen ist? Der erste Satz aus der Beschreibung trifft es gut: Keine Liebe ist je unschuldig. Es ist beklemmend, das Buch zu lesen, gleichzeitig absolut faszinierend und hier und da darf man auch in einen Spiegel blicken.
Ich habe mich etwas hineinlesen müssen, um mich hineinzufinden. Bis ich gemerkt habe, dass es alles andere als gewöhnlich ist. Nun lässt es mich aber auch im Nachhinein nicht los.
Ein grossartiges Werk von einem bemerkenswerten Autor. Gerade jetzt, wo ich diese Rezension schreibe, findet in Aarau im Kunsthaus eine Ausstellung statt:
Stranger in the Village Rassismus im Spiegel von James Baldwin