Aus der Medici-Familie - Italien zur Zeit der Herzoge - Macht, Gesellschaft - in einer Sprache die wie das Cover ein Kunstwerk ist.
Lucrezia de Medici ist das fünfte von neun Kindern von Eleonora und Cosimo del Medici aus Florenz. Als ihre Schwester Maria, die mit dem Herzog von Ferrano, Alfonso del Este, verlobt ist, verstirbt, wird sie, gerade knapp 14 Jahre alt, diesem 12 Jahre älteren Mann versprochen und 1560 mit knapp 15 Jahren verheiratet.
Sie ist bis dahin ein behütetes Mädchen, das Bildung erhält, mit seinen Geschwistern, vor allem mit der Schwester Isabella verbunden ist und mit Sofia, ihrer Vertrauten und Dienerin am Hof. Sie ist verträumt und künstlerisch sehr begabt. So zeichnet und malt sie viel. Bestimmt stellt der Vogel auf dem Cover den Star dar, dessen Bildnis im Buch entsteht. Die Beschreibungen, wie sie malt, ihre Umgebung wahrnimmt, offenbart ihr feines, auch scharfsinniges Innenleben. Sie ist auch eine eigenwillige Person, was in dieser Zeit nicht einfach ist. Als Frau hat sie sich zu fügen. Ihre Eltern nimmt sie als einander zugewandt und in gewissem Sinn auch partnerschaftlich wahr.
Sie will sich weigern, den Herzog zu heiraten, sie will überhaupt nicht heiraten, ist ja noch so jung, nicht an die Stelle der erst verstorbenen Schwester treten, hat aber keine Chance. Ehen werden geschlossen, um “Häuser” zu verbinden. Der Herzog braucht eine Frau, mit der er einen männlichen Erben zeugen kann, um seine Herrschaft zu sichern.
Die Hochzeit findet statt, Lucrezia zieht mit ihrem Mann weg von Florenz. Ihr Mann erweist sich vorerst ihr gegenüber als fein, redet sanft mit ihr und er lässt ihr eine Weile Zeit, die Ehe zu vollziehen. Im Lauf der kommenden Zeit entdeckt sie aber viele verschiedene Seiten an diesem Mann. Seiten, welche sie erschrecken, anwidern. Sie fürchtet sich auch zunehmend von ihm. So wird ihr klar, dass sie da ist, zu gebären, einen Sohn. Sie wird nicht schwanger. Nach einem Jahr wird ihr Mann ungeduldig, zornig, lässt sie untersuchen. Sie merkt, dass sie in Gefahr schwebt. Auch andere Vorkommnisse zeigen - Alfonso ist ein Machthaber. Er duldet nicht, dass man sich ihm entgegensetzt, ihm nicht sofort Gehorsam zeigt, nicht mit Worten und schon gar nicht mit Taten. Nichts an seiner Position wird unterminiert oder in Frage gestellt.
Lucrezia bangt um ihr Leben. Sie “weiss”, dass ihr Mann sie umbringen will. 1561 stirbt sie tatsächlich.
Im Buch springt man hin und wieder zwischen der Zeit von 1561, als ihr Mann sie auf einen Ausflug auf eine Festung mitnimmt zu 1560 (und teils vorher). Deshalb erfährt man schon früh von dieser Angst. Im Buch wird die Geschichte von vor ihrer Hochzeit bis zu ihrem Tod aufgerollt.
Der Schreibstil ist hervorragend. Wirklich einzigartig versteht es die Autorin, einen mitzunehmen in dieses Italien, das Leben im Castello. Wie die Herrschaften und die Dienerschaft leben, miteinander umgehen. Es ist ein absolut gelungenes Werk. Das Wesen der jungen Lucrezia wird so eindrücklich beschrieben, ihre Ausflüge in ihr Inneres, wenn sie etwas beobachtet, ihre Gedanken und Gefühle, ihre Zeichnungen - gerade die Miniaturen, auf denen sie immer wieder Eindrücke malt und wieder übermalt.
Es war ein Genuss zu lesen, obwohl man das Lesen eine Aktivität ist, kam es mir vor wie der Genuss eines grossartigen Konzerts. Da hat auch der Übersetzer eine Glanzleistung erbracht.
Lucrezia del Medici hat tatsächlich gelebt, wurde als ca 15 Jährige mit dem Herzog von Ferrano verheiratet und starb 1561. Es wird vermutet, dass sie umgebracht wurde. Maggie O’Farrell hat eine umwerfende Geschichte daraus entwickelt. Sie hat sehr viel recherchiert zum Leben in der damaligen Zeit, den Usanzen, wie man gesprochen hat, wie sich gekleidet. Die vielen Buchquellen, die dazu angegeben sind, belegen das. Es kommt im Buch ausgezeichnet hervor. Die Sprache ist derart gut an die Situation und an die Zeit angepasst. Kein Ausdruck, der nur aus der heutigen Zeit stammt.
Eine absolute Leseempfehlung. Das Buch habe ich aus der Bibliothek, werde es aber kaufen - mehrfach.
Das Zitat von Brigitte Woman zu diesem Buch auf dem Umschlag trifft es sehr gut: “Es gibt Romane, die stossen eine Tür auf und schubsten einen hinein in ein Jetzt, das so nah, so absolut scheint wie der eigene Herzschlag.”
Zum Verschenken und zum Ausleihen. 5+ Wertung von mir.
Die Verhandlungen zwischen den beiden Familien über Verlobung und Mitgift gingen weiter, wenn auch auf Distanz. Dem Gespräch Vitellis mit einem Schreiber entnahm Lucrezia, dass ihr Vater für die Verheiratung dieselben Bedingungen wollte wie für Maria, dass das Haus Ferrara des Aufschubs wegen aber auf einer Erhöhung der Mitgift bestand.
Das Hochzeitskleid lauert; sie spürt es hinter sich, wie es den Moment abwartet, da seine leere Hülle sich um ihren Körper schliessen wird.
Berge hatte Lucrezia schon oft gemalt, aber nur ganz klein, zusammengeschrumpft, als Hintergründe für eine Szene…. Von Nahem hat sie sie noch nie gesehen, ist noch nie über einen hinweggeritten; sie hatte keine Ahnung, dass das, was aus der Ferne grün oder grau aussah, sich aus der Nähe als ein Aufeinanderprallen von Farben und Strukturen erweisen würde:
Begierig. Die Silben prasseln auf sie ein wie Hagelkörner. Das ist doch mit Begierde verwandt und damit mit dem, was Männer mit Frauen tun wollen: die Ee vollziehen; innerhalb einer Ehe wird es von der Kirche geheiligt, ausserhalb ist es eine schwere Sünde; Lucrezia hat sie schon auf den Gesichtern von Männern gesehen, am Hof, bei Festessen, wie sie die Gestalt vorbeigehender Frauen betrachteten, die sich in den Hüften wiegten. Sie kennt diesen Gesichtsausdruck: halb verträumt, halb entschlossen, vollkommen abwesend, doch zugleich konzentriert und zielstrebig, die Augen auf halbmast, der Mund geöffnet, als schmeckte er etwas Köstliches.
Er verharrt mehrere Momente lang reglos und still, hält immer noch ihre Hand gepackt. Sie hält seinem Blick stand, ruhig und unerschütterlich, doch innen drin versucht sie, ihren Kopf zu leeren, wie ein unbeschriebenes Pergament; sie lässt alles Wissen wegfliessen. Sie wird nicht zugeben, dass sie irgendetwas weiss, dass sie von Baldassare erfahren hat, dass Alfonsos Schwestern nach Frankreich ziehen wollten …