Ich würde sagen - definitiv ein “coming-of-age”-Roman, auch wenn die Hauptfigur Tilda schon eigentlich von den Jahren her erwachsen ist, aber sie löst sich erst jetzt langsam und findet ihren Weg. Wie Caroline Wahl dies entwickelt, ist wirklich raffiniert, sie nimmt nämlich den Leser ganz langsam und subtil bei dieser Entwicklung mit und das macht sehr neugierig auf die weitere Entwicklung. Auch die Charaktere stellt sie zunächst beschreibend und nicht mit zu überbordenden Emotionen dar, mit anfangs allenfalls Andeutungen zu Tiefen und Brüchen in der Lebensgeschichte, die aber immer eine Spur konkreter werden. Und zu den Personen:
Tilda - studiert Mathematik (witzige Details, immer wieder!), jobbt, kümmert sich um die kleine Schwester Ida, deren Geburt aus einer Teilfamilie in ihrer Wahrnehmung wieder eine Familie gemacht hat. Übernimmt ab dem Alter von 10/12 (?) ohne Widerstände/Wut/Hinterfragen/Emotion die ihr von der Mutter zugedachte Rolle. Macht es einfach, wird Familienoberhaupt (spricht mit der Lehrerin von Ida), trägt ihr Los, einfach weil es nun mal so ist. Hat eine Aufgabe, nimmt sie mit Verantwortung wahr. Liebt zweifelsohne ihre Mutter, auch wenn ganz am Ende so langsam mal eine Wut (Monster, Eiswasser) gezeigt wird, aber nie mit dem Gedanken, aufzugeben. Liebt Ida und es wird wohl immer so weiter gehen, wie bisher, distanziert sich damit zusehends von ihrer besten Freundin Marlene, die einen ganz anderen Weg geht, eher unzufrieden, verwöhnt und ohne Verantwortung durch’s Leben geht. Aber, so wird es nicht weiter gehen, denn es passierne 3 Dinge: 1. Victor taucht auf (im wahrsten Sinne des Wortes), 2. Promotion wird angeboten und 3. Ida wird schwer von der Mutter geschlagen und letzteres scheint mir ein Auslöser für die weitere Entwicklung zu werden.
So, ich komme ins erzählen…. sorry
Ida - nimmt scheinbar die Situation hin, aber zeigt anders als Tilda mehr Stärke und Emotion, drückt dies nur in der Kunst, aber in durchaus eigenwilligem Verhalten aus. Ist schwingungsfähig (“der arme Wolf”). Ida wird uns wohl noch überraschen
Ivan - war Tildas erste Liebe, taucht zunächst nur als Beerdigungsbeschreibung auf, ohne dass der Name genannt wird. Erst nach und nach erfährt man, auch nur in Andeutungen die ganze Katastrophe. Raffinierter Spannungsaufbau von der Autorin.
Victor - geheimnisvoll und düster, hat offensichtlich bei einem Unfall die ganze Familie, zu der Ivan gehört hat, verloren. Mag Tilda - liebt er sie? Kann sich jemand mit so einem Verlust je wieder auf lieben einlassen?
Marlene und ihre Freunde sowie Bruder Leon erwähne ich jetzt nicht weiter, schreibe eh zu viel. Ich sehe sie auch eher als eine Art Kontrapunkt, als Stilmittel um im Kontrast zu Tildas Leben deren Verantwortung in jungen Jahren zu zeichnen.
Sodele, ich bin gespannt, wie es weitergeht und bin (obwohl coming-of-old age) ganz angetan von dem Stil der Autorin. Die Struktur, die sie immer auf’s Neue mit der Supermarktkasse reinbringt ist eine Superidee.
Ad Cenerentola70: Ja, das mit dem Drogenkonsum stösst auf, aber wenn man sich den Alkoholkonsum der Mutter mit den Auswirkungen auf das Leben ihrer Kinder anschaut, dann ist das auch nicht ohne Dramatik.