Dass der deutsche Philosoph Richard David Precht über die Auswirkungen der Pandemie ein Buch schreiben würde, war zu erwarten. Der Mann weiss vieles besser, hat zu vielem eine reflektierte Meinung und bringt diese gerne unters Volk. Das gelingt ihm mit einer gewinnenden intellektuellen Brillanz und einer Zeitgeistigkeit, die ihn fürs Feuilleton und andere Intellektuelle verdächtig machen, hier schreibt einer, der breite Massen erreichen will. So entlarvt er die Dürftigkeit der Argumente von Massnahmengegner*innen, zeigt die Wirkung auf, der die Verschwörungstheoretiker unterliegen und erinnert daran, dass man den Staat nicht nur als diensteistende GmbH konsumieren sollte. Er ortet fehlenden Gemeinsinn, verursacht nicht zuletzt durch einen Wirtschaftsliberlalismus. Er führt ins Feld, dass nicht Leistung belohnt wird, sondern Erfolg, und bringt mit Alexis de Toquevilles Beobachtungen über die junge liberale Demokratie in den USA einen Vergleich, der aus meiner Sicht ziemlich hinkt. Die vielen abschweifenden Bezüge des besorgten Philosophen sind aber sonst gut gesetzt und klug dosiert. Seine These, dass dem Bürger und der Bürgerin die Tugend des Pflichbewusstseins abhanden gekommen ist, erscheintc schlüssig. Er wirft zwei soziale Pflichtjahre, für Schulabgänger und Rentner, als Mittel gegen den fehlenden Gemeinsinn in die Runde. Allein mit diesem provokativen Vorschlag lanciert er eine notwendige Diskussion über Gemeinsinn. Das Buch ist eine Aufforderung zum Denken, pfiffig aufbereitete Kritik an einem ausufernden Individualismus und ein gut gemeinter Appell zum “Gutbürger”, der aber wohl die Wutbürger, die Schwurbler und Verschwörungstheorhetiker kaum erreichen wird.