Christine Drews’ Roman basiert auf einer wahren Geschichte, nämlich im Werdegang von Rita Maiburg, der allerersten Linienflugpilotin der Welt. Dennoch steht Maiburg nicht im Mittelpunkt des Buchs. Ihre Geschichte wird mit der fiktiven Lebensgeschichte von Katharina verknüpft, die sich in den 1970er-Jahren gegen ihr konservatives Elternhaus durchsetzt, um als Anwältin arbeiten zu können.
In dem halben Jahrhundert, das seit 1970 vergangen ist, hat sich eine Menge getan. Können wir mitteleuropäische Frauen, die wir heute ein eigenes Bankkonto haben, arbeiten gehen und Single bleiben dürfen, uns wirklich in die damalige Welt einfühlen? “Das Gefühl des Fliegens war unbeschreiblich, ganz anders, als nur in der Maschine mitzufliegen”, heisst es im Roman. Da möchte ich als Nicht-Pilotin des 21. Jh. wissen, was denn genau anders ist, wie sich das Steuern einer Riesenmaschine mitsamt Verantwortung für Crew und Passagiere anfühlt, wenn man vorher ein Leben lang als minderwertiges Lebewesen behandelt wurde. Ich erfahre es in dem Roman nicht. Ich nehme zur Kenntnis: Fliegen fühlt sich unvergleichlich an. Das habe ich vor der Romanlektüre auch schon geahnt. Man hätte sich vielleicht die Mühe machen können, eine Pilotin zu interviewen - einfach nur, um dem erzählerischen Diskurs die Oberflächlichkeit zu nehmen.
Auch bei Katharinas Geschichte bleibt der Leser aussen vor. Katharina, so heisst es, wird von ihren männlichen Anwaltskollegen insofern gemobbt, als niemand aufmuckt, wenn diese zu spät zur Arbeit erscheinen. Bei Katharina jedoch wird “genau higeguckt”, heisst es. Wie hat wohl eine Lohnverhandlung bei Katharinas Chef ausgesehen - habe ich mich beim Lesen gefragt. Die Antwort habe ich nicht im Roman, sondern bei Oprah Winfrey gefunden: “Ihr Kollege verdient bei gleicher Arbeit mehr als Sie, weil er eine Familie zu versorgen hat und Sie nicht”, musste sich Oprah in den 70er-Jahren von ihrem Vorgesetzten anhören. Schade, dass Christine Drews’ Leser*innen solche Dialoge vorenthalten bleiben.
Die Ausgestaltung der Dialoge ist andererseits die grosse Stärke des Romans. Diese erstrecken sich teilweise über mehrere Seiten, ohne langweilig zu werden. Das Buch wurde von der Autorin vielleicht unbewusst als Drehbuch konzipiert; immerhin wurden bereits mehrere Werke von ihr verfilmt. Man muss sich die Figuren mit Maske und Kostüm vorstellen, um sich in die Zeit hineinversetzen zu können - oder aber ein grosses Vorwissen mitbringen, um die Emanzipation der beiden Frauen nachzuvollziehen. Eigentlich sollte ein Roman über die Sprache diese Leistung vollbringen und den Leser in die fremde Welt ent- und einführen. Wenn dieser Roman verfilmt wird, wird das vielleicht gelingen - dank der Arbeit von Regisseuren, Maskenbildnern und überzeugenden Schauspieler*innen.