Romane behandeln nicht selten die grosse Liebe, die grossen Umbrüche und enden mit Happyend. Doch so klar ist das nicht im richtigen Leben. Wie beschreibt man aber diese Zwischenräume, wo alles langsam kriecht, wo der Mensch funktioniert, das Leben so passiert, dass man Veränderung schleichend erfährt? Das einzufangen ist Judith Herrmann hervorragend gelungen. Da ist die Ich-Erzählerin, die ihrem Bruder in einem Gasthof hinter dem Deich zur Seite steht. Sie sehnt sich nach der Tochter, die irgendwo auf den Weltmeeren rumschippert. Deren Vater und Ex-Mann der Erzählerin, ein Sammler und Hüter, der den Weltuntergang vorbereitet erwartet. Der Bruder, wesentlich älter, ist in eine junge Frau vernarrt, die knapp über 20 ist, sehr sperrig und wenig zugänglich diesen Bruder genau so viel in ihr Leben lässt, wie er ihr nützlich ist. Er leidet. Zusätzlich ist da noch die Freundin der Erzählerin, deren Bruder, ein Schweinezüchter, die Eltern der beiden. Alle tragen mit ihrem Lebensrucksack dazu bei, ein dichtes Mosaik an Stories zu stricken, die den Roman ausmachen. Das kommt sehr bodenständig rüber, nüchterner Alltag im Dorf, in der Schenke auf dem Schweinezuchtbetrieb. Da wird dann sogar das Aufbauen einer Marderfalle zum Spannungselement. Der Reiz des Romans liegt in der Kunst, noch die kleinsten Details minutiös festzuhalten, und ihm eine wohlformulierte Bedeutung zukommen zu lassen. Gewisse Bilder halten einer vertieften kritischen Prüfung nicht statt, Raben blinzeln zum Beispiel nicht. Dem gegenüber steht die hohe Kunst, das nüchterne Leben, die kleine Veränderung, die langsame Annäherung, das was eine Freundschaft ausmacht, aber auch Trostlosigkeit, Entfremdung und Loslassen so spürbar lebendig werden zu lassen. Auf den Punkt gebracht beschreibt Judith Herrmann nichts anderes als das Hineinwachsen in eine neue Lebensphase, in ein neues Daheim unwiderstehlich eigenständig und frisch.