Ein eindrucksvoller Roman, in dem Coetzee einmal mehr die grossen Themen anschneidet, die auch in seinen übrigen Werken -etwa Schande und Sommer des Lebens- vorkommen. Es geht um Heimatlosigkeit, Anpassung, und die Suche nach der eigenen Identität.
Besonders beeindruckt haben mich die Passagen, in denen der Protagonist David lesen lernt; da geht es ans Eingemachte über die Frage nach der Essenz des Lesens. Man kann Buchstaben oder Geschichten lesen, man kann mit den Augen, aber auch mit den Fingern lesen. Mit knapp dreissig Buchstaben lassen sich ganze Universen erschaffen. Dass Coetzee in diesem Zusammenhang den Don Quichotte aufgreift (der ja bekanntlich Windmühlen mit gefährlichen Riesen verwechselt), fand ich etwas klischeehaft - das Werk wurde in der Literatur, wenn es um Fragen des Verstehens ging, nun wirklich zu Genüge durchgekaut. Dadurch dass der Don Quichotte von einem Kind entziffert wird, das nicht lesen kann, gelingt es Coetzee jedoch, zur philosophischen Dimension des Lesens und Verstehens vorzustossen und der literarischen Vorlage damit eine neue Frische, um nicht zu sagen eine Tiefe zu verleihen, die Cervantes’ tölpelhafter Progagonist so nicht hergibt (auf Letzteres verwies Erich Auerbach bereits 1946 in seinem bekannten Essay “Die verzauberte Dulcinea”).
In den Szenen, in denen der Hauslehrer den kleinen Jungen unterrichtet, werden die Grundfragen unserer Existenz angegangen: Fremdheit, Zugehörigkeit, aber auch der Fleischkonsum, die Mutterschaft (das Suchen und Finden einer Mutter für David) sowie die Logik des Kapitalismus.
Ein grossartiges, nachdenkliches Buch, unsentimental und packend geschrieben.