Es ist ein sehr herzliches, liebevolles und leises Buch – vielleicht fast zu harmonisch, aber gerade dadurch tief bewegend. Besonders berührt hat mich, wie die Haushälterin mit dem kranken Professor umgeht: mit Geduld, Respekt und Zärtlichkeit. Zwischen ihnen entsteht etwas, das man kaum Freundschaft nennen kann, weil es stiller und reiner ist – ein gegenseitiges Erkennen im Alltäglichen.
Ogawa zeigt in diesem Roman, dass Mathematik kein abstraktes Monster ist, das Studierende zur Verzweiflung treibt, sondern eine Sprache der Zärtlichkeit. Zahlen werden hier zu Bildern, Gleichungen zu Geschichten, und die Welt erscheint plötzlich voller verborgener Beziehungen. Die Idee, dass es „befreundete Zahlen“ oder „vollkommene Zahlen“ gibt, wirkt fast menschlich – als hätten Zahlen Charaktere und Gefühle.
Neben der Mathematik spielt auch Baseball eine zentrale Rolle – als zweiter Erzählstrang, der die Verbindung zwischen dem Professor und dem Sohn der Haushälterin vertieft. Mich persönlich hat das etwas gestört, weil mir Baseball fremd ist und ich wenig damit anfangen kann. Doch auch in diesem Strang zeigt sich Ogawas Fähigkeit, in scheinbar nüchterne Dinge eine tiefe Poesie einzuschreiben.
Wer sich für die Schönheit der Zahlen interessiert, aber Mathematik bisher nur als Angstfach kannte, wird in diesem Buch eine neue, sanfte Perspektive finden. Ogawa verwandelt Formeln in Gefühle und Beweise in Beziehungen.
Nach der Lektüre sieht man auch die Euler’sche Formel, e^{i\pi} + 1 = 0, mit anderen Augen – nicht mehr als bloße Gleichung, sondern als poetische Verbindung zwischen Leben, Denken und Stille.
Für alle, die danach noch tiefer in die Welt der Mathematik eintauchen möchten, bietet „Fermats letzter Satz“ von Simon Singh eine faszinierende, historische Ergänzung – ein Buch, das dieselbe Leidenschaft für Zahlen teilt, aber auf ganz andere Weise erzählt.
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