Mit „Katabasis“ präsentiert R. F. Kuang eine ebenso philosophische wie packende Fantasy-Erzählung, die weit über klassische Genregrenzen hinausgeht. Der Roman nimmt den altgriechischen Begriff der Hinabsteigung in die Unterwelt wörtlich und verwandelt ihn in eine moderne, scharfsinnige und zutiefst persönliche Geschichte.
Im Zentrum steht Alice Law, deren Lebensziel es ist, die beste Analytikerin für Magie zu werden. Ihr Weg scheint klar, bis ihr Mentor Grimes auf rätselhafte Weise ums Leben kommt, ein Ereignis, an dem sie möglicherweise selbst eine Schuld trägt. Der Entschluss, ihm in die Hölle zu folgen, ist zugleich erschreckend impulsiv und zutiefst menschlich. Kuang versteht es meisterhaft, Alices innere Zerrissenheit sichtbar zu machen.
Begleitet vom ebenso eigenwilligen wie undurchsichtigen Peter Murdoch beginnt eine Unterweltreise, die von literarischen und mythologischen Anleihen lebt. Die Hölle selbst ist überraschend facettenreich: kein brennendes Klischee, sondern ein Ort der Erkenntnis, der Ironie und der moralischen Ambivalenz. Genau hier liegt die Stärke des Romans: Er verbindet philosophische Tiefe, schwarzen Humor und politische Untertöne zu einem klugen Kommentar über Schuld, Verantwortung und die Grenzen von Wissen.
Alice und Peters Beziehung verleiht der Handlung eine zusätzliche emotionale Spannung, ohne jedoch in romantische Muster abzudriften. Stattdessen geht es um Vertrauen, Zweckbündnisse und die Frage, wie weit man für die eigenen Ideale gehen darf.