Ocean Vuong erzählt in Der Kaiser der Freude vom Leben nach einem Suizidversuch. Im Mittelpunkt steht die Erfahrung, wie es ist, weiterzumachen, wenn man eigentlich schon aufgegeben hatte. Wie lebt jemand, der sich das Leben nehmen wollte und nun ohne Hoffnung, ohne „Werkzeuge“, den Alltag bestehen muss?
Der Roman entfaltet sich in Bildern und Gedanken, die immer wieder Übergänge ins Zentrum rücken: Nichts bleibt fest, alles ist in Veränderung – genauso wie Geschlecht, Identität, Leben und Sterben. Metaphorisch dazu steht die Frage: „Ist es Brot oder ist es Kuchen?“ Sie verweist auf die Brüchigkeit von Kategorien und öffnet den Blick für das Dazwischen, das Uneindeutige.
Gegen die allgegenwärtige „YOLO“-Formel („you only live once“) setzt Vuong eine Haltung der Achtsamkeit, geprägt von seinem buddhistischen Denken: Nicht der schnelle Konsum von Erfahrungen zählt, sondern die Verantwortung für das eigene Handeln. Taten haben Folgen, sie wirken über uns hinaus – auf die Menschen um uns und auf jene, die nach uns kommen.
Doch Der Kaiser der Freude ist ebenso ein Buch über das Scheitern – und über die Sprachlosigkeit angesichts des Unaussprechlichen. Nach dem Tod seiner Mutter bleiben Vuong nur Floskeln wie „time will heal“, die nichts trösten. Immer wieder steht die Frage im Raum: „Mother, I am afraid of this life, how shall I go on?“ Die Antwort, die er in Erinnerungen findet, ist schlicht und weitreichend: keine Angst zu haben, neugierig zu bleiben, zu lernen, auch dort, wo man zunächst nicht versteht.
Das Werk trägt unverkennbar autobiografische Züge: die Herkunft aus einer vietnamesischen Flüchtlingsfamilie, Armut, Klassengefüge, die harte Arbeit der Mutter im Nagelstudio (in der Realität) und die Arbeit des Protagonisten in einem Fast-Food-Restaurant (im Roman); die Suizide von Angehörigen und Freunden; der eigene Studienabbruch nach wenigen Wochen, den er vor der Mutter verschwieg; das Zusammenleben mit der dementen Grazina, der das Buch gewidmet ist. Doch Vuong verwandelt Erinnerungen – er fügt Imagination hinzu, verschiebt Perspektiven, schafft Nähe und Distanz zugleich.
Immer wieder wird deutlich: Politischer Wechsel verändert wenig am Grundzustand der Welt. Ob Obama oder Trump – Kriege bestehen fort, Ausbeutung bleibt, Leid wiederholt sich. Kriege ähneln sich, egal wann und wo, und ihre Traumata reichen durch Generationen.
Neben all diesen Schwerepunkten ist Der Kaiser der Freude auch ein sehr berührendes Buch über Freundschaft. Über die Nähe zwischen Hai und der älteren Frau Grazina, über das Vertrauen, das in einer unerwarteten Konstellation wachsen kann. Freundschaft erscheint hier als Form des Weiterlebens, als Beistand in einer Welt, die keinen Halt gibt.
Der Kaiser der Freude ist ein Buch über das Weiterleben, über Erinnerung und Sprachlosigkeit, über Bedauern als Zeichen von Entwicklung. Vuong sagt dazu: Regrets are something good – congratulations, it means you have grown. Wer bereut, erkennt, dass er sich verändert hat, dass er auf einen früheren Weg zurückschaut und nun bereit ist, einen anderen einzuschlagen.
Vuong verbindet persönliche Geschichte mit universalen Fragen: Wie trägt man Verluste? Wie lernt man, ohne Angst zu leben? Und wie schreibt man, wenn alles brüchig ist?