In diesem “Gestein” kommen vor allem drei Personen vor - sie haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun, sind aber auf die eine oder andere Weise doch miteinander verbunden.
Es ist dies Alois, der mit seinen Rindern und dem Hund auf dem Hof lebt, seine strenge Arbeit tut, Bäume fällt, mit Rindern umzugehen weiss und sich scheut zu zeigen, was unter seiner harten Schale liegt - sich möglicherweise selbst davor fürchtet, was mit ihm geschieht, wenn er seine Verletzlichkeit zulässt. Ausserdem Elisabeth als Frau des Bäckers, die den ihr als Ehefrau zustehenden Aufgaben nachkommt und nach dem frühen Tod ihres Mannes vor neue Aufgaben gestellt wird. Weiter eine Person, die im Roman namenlos bleibt und uns Leser:innen mit “Du” anspricht. Sie kommt von Zeit zu Zeit zurück in die Berge, ins Gestein und erkennt auch eine Beruhigung darin, dass die Berge, diese starken Felsen, immer noch da sind.
Mir gefällt die Schreibweise - der Schreibstil, der eher traditionell ist, gepflegt, gut und eingängig. Die Kombination von traditioneller Lebensart, Dorfleben, Eheleben, Beruf, Heirat, Kinder, dem gängigen Alltag bestehend aus den üblichen Verpflichtungen mit den neueren Lebensformen, Liebesbeziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren. Menschen, die ein quasi ein Leben lang am gleichen Ort im gleichen Trott leben neben Menschen, die aufbrechen - in eine neue Eigenständigkeit am gleichen Ort, an einen anderen Ort gehen, eine andere Nähe suchen. Menschen, die sich schwer tun damit, das Gewohnte zu verlassen, dies dann irgendwann doch tun. So wie Gesteine sich manchmal ruckartig verschieben, weil sich im Untergrund schon länger etwas bewegt hat oder Gesteine, die nach und nach in Bewegung sind.
Die Erzählung hat es nicht nötig, sich ideologisch zu präsentieren oder zu werten. Weder explizit, noch implizit. Durch diesen so passenden Schreibstil wird einem leise und doch eindringlich geschildert, worum es geht. Die Figuren können einem fremd sein und dennoch nahe kommen. So wie Archäologen sehr behutsam, nicht mit grobem Werkzeug, aus dem Boden herausholen, was dort lange Zeit verschüttet oder verborgen war, so schält Mariann Bühler die Wesensart der Personen im Roman heraus.
Ein absolut lesenswertes und beeindruckendes Buch.
- Vom Balkon aus führt eine kleine Zugbrücke über den Abgrund der Kellertreppe in den Garten. Eine grossväterliche Konstruktion, weil er zu faul war, um das Haus herum in den Garten zu gehen. Faulheit sei der Treibstoff aller Erfindungen.
- Im Dorf wusste man Bescheid übereinander. Elisabeth bekam einiges mit hinter der Theke. Bei den Bestellungen für Geburtstage, Taufen und Hochzeiten erzählten die Leute gern und viel, wer mit wem wie lange schon, die Gewichtszunahmen der Kinder, und die Grossmutter, der Grossvater, die mit achtzig, neunzig, fünfundneunzig noch strickten, gärtnerten oder sangen. Anderes sah Elisabeth an dem, was lange Ärmel an einem Sommertag verbargen, an Kindern, die noch ein bisschen zu klein waren, um allein einzukaufen oder auf die Geschwister aufzupassen.