Als ich mit Der Kaiser der Freude begonnen habe, war ich überrascht – die Hauptfigur Hai steht auf einer Brücke, bereit, seinem Leben ein Ende zu setzen. Doch eine ältere Frau, Grazina, hält ihn auf. Und so beginnt eine ungewöhnliche Freundschaft: Er, ein queerer Teenager vietnamesischer Herkunft, sie, eine litauische Kriegsüberlebende mit beginnender Demenz.
Ich fand es beeindruckend, wie sich zwischen diesen beiden Figuren – so unterschiedlich und zugleich verletzlich – eine zarte Verbindung entwickelt. Hai zieht bei Grazina ein, wird ihr Pfleger, und schafft es, ihr durch fantasievolle Geschichten und kleine Rituale Stabilität zu geben. Gleichzeitig findet auch er selbst im Alltag neue Kraft.
Mir hat besonders gefallen, wie Vuong das Setting in einer heruntergekommenen Kleinstadt in New England nutzt. Hai arbeitet in einem Fastfood-Diner im HomeMarket, umgeben von Außenseiter:innen – seinem autistischen Cousin Sony, verschrobenen Kolleg:innen und Menschen, denen gesellschaftlicher Erfolg fremd geblieben ist. Diese Figuren sind keine Helden, aber sie sind real und tragen moments of tenderness in ihren kleinen, oft zermürbenden Alltag.
Die Sprache ist poetisch und manchmal melancholisch, aber immer voller Wärme und Intimität. Vuong erzählt nicht von großen Wendepunkten oder dramatischen Erlösungen – stattdessen zeigt er, wie in kleinen Gesten, in Solidarität und Mitmenschlichkeit das Leben sich fortschreibt. “Das Leben ist gut, wenn wir einander Gutes tun” wird in diesem Buch spürbar.
Am Ende hat mich die Freundschaft zwischen Hai und Grazina tief bewegt. Es ist kein „Happy End“ im klassischen Sinne, aber es ist ein anrührender Blick auf das, was menschlich trägt – über Generationen, Kulturen und Stille hinweg