Ich habe dieses Buch Anfang 2018 gelesen, immer einen Apfel in Reichweite (was ich jedem empfehlen würde, man bekommt unbändig Apfel-Lust beim Lesen). Äpfel spielen eine wichtige Rolle in der Erinnerung der Protagonistin, deren Mutter den Winter über verschiedene Sorten eingelagert hatte. Die Stunden mit der Mutter im Keller bei den duftenden Äpfeln werden für die Frau zum geistigen Zufluchtsort, denn in der Realität hat sie mit einem sehr exzentrischen Ehemann zu kämpfen, der sie und auch ihre Tochter immer mehr in Bedrängnis und Not bringt.
Die Geschichte spielt in einem Dorf im Tessin, das wörtlich nicht genannt wird. Als ich im Sommer 2019 zufällig in R. war, hatte ich beim durch-die-Gassen-Gehen ein eigentümliches Gefühl. Ich war in diesem Buch, ich spürte es ganz sicher: Der alte Brunnen, an dem gewaschen wurde, die steile Strasse hinter dem Platz, der Platz selbst … ich begann, gedankenverloren, auf Klingelschilder zu starren, als ob es dort die Namen der Romanfiguren zu finden gäbe!
Nach Hause gekommen hatte ich die wunderbare Gelegenheit, Gertrud Leutenegger zu fragen, ob “Pomona” denn in R. spiele. Sie war gerührt und überrascht - und bestätigte meinen Verdacht. Noch nie ist mir dieses Gefühl so intensiv begegnet, in einem Roman zu sein - ohne es zu wissen! Das hat schon eine andere Qualität, als bewusst an einen Literaturschauplatz zu fahren. Dass Gertrud Leutenegger in “Pomona” so eine dichte, so eine intensive Atmosphäre geschaffen hat, die sich bei einem nichtsahnenden Spaziergang Monate nach dem Lesen wieder an einen schmiegt, ist hoffentlich für den ein oder anderen ein Anreiz, “Pomona” zu lesen. Er oder sie wird belohnt werden, ich verspreche es!