Angela Carters Die blutige Kammer gilt als Schlüsselwerk feministischer Literatur und literarischer Märchenadaption. Die Autorin interpretiert klassische Erzählmuster neu, stellt Geschlechterrollen infrage und verleiht Frauenfiguren mehr Handlungsmacht. All das ist theoretisch spannend – in der Umsetzung konnte mich das Buch jedoch nicht überzeugen.
Die titelgebende Geschichte, eine düstere Variante des Blaubart-Märchens, folgt einer jungen Frau, die einen älteren, geheimnisvollen Mann heiratet und nach und nach dessen blutige Vergangenheit entdeckt. Carter kehrt die klassische Opferrolle um: Am Ende ist es nicht der “starke Mann”, der rettet, sondern die Mutter der Protagonistin – eine bewusste Abweichung vom passiven Weiblichkeitsideal vieler Märchentraditionen. Feministisch gedacht ist das stark: Frauen als aktive, handelnde Subjekte, nicht nur als schöne Hüllen oder Märtyrerinnen.
Doch so klar die feministische Botschaft auch ist – ihre emotionale Wirkung blieb für mich überraschend schwach. Die Figuren wirken eher symbolisch als lebendig, ihre Handlungen eher theoretisch motiviert als glaubhaft entwickelt. Die junge Frau, die sich aus ihrer Rolle als Opfer befreit, bleibt dabei merkwürdig blass. Sie denkt und handelt nicht aus innerem Antrieb, sondern scheint eher ein Medium für Carters Botschaften zu sein.
Auch stilistisch steht der Text sich manchmal selbst im Weg. Die Sprache ist voller Sinnlichkeit, Metaphern, Andeutungen – was grundsätzlich reizvoll sein kann, hier aber oft überfrachtet wirkt. Die Symbolik ist so stark in den Vordergrund gestellt, dass die Geschichte darunter leidet. Das feministische Anliegen, das eine emotionale Dringlichkeit in sich tragen könnte, wirkt dadurch fast schon kühl-intellektuell vermittelt.
Fazit: Die blutige Kammer ist ein literarisch ambitionierter Text mit klarer feministischer Intention. Carter spielt mit alten Erzählformen, bricht Tabus und stellt Geschlechterrollen auf den Kopf. Aber mich hat das Buch nicht überzeugt. Es wirkt oft mehr wie ein Konzept als wie eine Geschichte – und genau das macht es für mich schwer zugänglich und wenig berührend.