Paul Auster ist so 64 Jahre alt, es ist Winter und er schreibt ein autobiografisches Journal. Er schreibt von seiner Kindheit, seiner Jugend, seiner Körperlichkeit, die Empfindungen seines Körpers, die Veränderungen seines Körpers. Über eine ganze Strecke macht er seine Geschichte an den über zwanzig Wohnorten fest, beschreibt die Wohnungen/Zimmer, in denen er gewohnt hat und was er in der jeweiligen Zeit erlebt hat. Auch über Freundschaften, seine erste grosse Liebe, die erste Frau, mit der er einen Sohn hat, wo und wie er nach dem Entzweigehen dieser Ehe gelebt hat. Die Begegnung mit seiner ganz grossen Liebe und zweiten Ehefrau, seine zahlreichen Reisen. Nachdem das Ehepaar mit der gemeinsamen Tochter schliesslich ein Haus gefunden haben, in dem sie blieben, werden wieder andere Erinnerungen berichtet. Es gibt viel, das der Autor erzählen kann, vom frühen Tod seines Vaters, der Tod seiner Mutter, der ihn enorm erschüttert hat. Panikattacken, die ihn geplagt haben. Viele sehr schöne Erlebnisse und viel Schweres.
Das Besondere an diesem autobiografischen Werk ist, dass Paul Auster dieses Journal erzählerisch an das “Du” adressiert. Er schreibt nicht in Ich-Form, sondern in der Du-Form. Es macht ihn sehr erlebbar, nahbar. Man erlebt einen überaus feinfühligen, besonnenen Menschen, der respektvoll mit anderen umgeht. Weder beschönigt er seine Schwächen, noch stellt er sich selbstmitleidig dar, noch stellt er seine Stärken in gleissendes Licht. Das Buch hat mich sehr bewegt und tröstet mich ein wenig darüber hinweg, dass dieser Mann - einer meiner Lieblingsautoren - vor fast genau einem Jahr gestorben ist. Einerseits weil er offenbar zufrieden auf sein Leben blickt; auf das, was ihm geschenkt wurde und was er geben durfte und andererseits, weil ich mit diesem Buch einen Blick auf sein Wesen werfen durfte, ein wenig, als ob ich ihn ein bisschen kennengelernt hätte.
Die Aussicht, dich zu entwurzeln, hatte dich in einen Zustand äusserster, jedoch vollständig unterdrückter Besorgnis versetzt; der Gedanke, mit deiner Freundin Schluss zu machen, hatte dich zweifellos sehr viel stärker aufgewühlt, als du dir vorgestellt hattest. Du wolltest allein nach Paris fahren, aber ein Teil von dir geriet ob einer so drastischen Veränderung in Panik, und deshalb drehte dein Magen durch und wollte dich in Stücke reissen. Das ist die wiederkehrende Geschichte deines Lebens. Wann immer du an eine Weggabelung kommst, bricht dein Körper zusammen, denn dein Körper hat schon immer gewusst, was dein Kopf nicht weiss, und wie er auch zusammenbrechen mag, ob in Form von Drüsenfieber, Gastritis oder Panikattacken, hat er immer die Hauptlast deiner Ängste und inneren Kämpfe getragen und die Schläge eingesteckt, die dein Kopf nicht auszuhalten bereit oder imstande ist.